Spotlight 17/20 | Endnoten

Spotlight 17/20 "Tödliche Polizeigewalt in den USA. Rassismus – Armut – Ungleichheit – Gewaltkriminalität"

von Peter Kreuzer | Zur Publikation

1 Der hier verwendete Begriff der „Rasse“ impliziert nicht, dass es nach wissenschaftlichen Kriterien abgrenzbare „Rassen“ gibt, denen bestimmte Eigenschaften zugeordnet werden können. Er folgt der U.S. amerikanischen Praxis, die „Rasse“ und „Ethnizität“ (race, ethnicity) statistisch erfasst.
Die relevante Grundlage hierfür wird vom „Office of Management and Budget“ vorgegeben, das betont, dass die Zuordnung in der Regel von den Befragten selbst vorgenommen werden soll. „Rasse“ und „Ethnizität“ dürfen nicht verstanden werden als „being primarily biological or genetic in reference.“ Nicht unproblematisch werden diese Kategorien jedoch gedacht „in terms of social and cultural characteristics as well as ancestry” (Office of Management and Budget 1997. Revisions to the Standards for the Classification of Federal Data on Race and Ethnicity. Federal Register Vol. 62, No. 210, (https://www.govinfo.gov/content/pkg/FR-1997-10-30/pdf/97-28653.pdf). De facto beziehen sich die Begriffe der Rasse und Ethnizität auf die letzte Kategorie der Abstammung (ancestry) (U.S. Census Bureau ohne Jahr. About [Race and Ethnicity; P.K.], www.census.gov/topics/population/race/about.html). Als „Rassen“ werden unterschieden: Asian, Native Hawaian or other Pacific Islanders, American Indian/Alaska Natives, Black/African American, White. Als Ethnizitätsmarker gelten Hispanic/Latino und Not Hispanic/Latino. Ein nicht unbeträchtlicher Teil derer, die sich der Gruppe der Hispanic/Latinos zurechnet, rechnet sich auch der Kategorie der „Weißen“ zu. Daher findet sich vielfach noch eine weitere Kategorie derer, die unter „Rasse“ nur „weiß“ angeben, unter Ethnizität „Not Hispanic/Latino.“ Diese Kategorie wird als „white alone, not Hispanic or Latino” erfasst.
Zur Problematik der Verwendung dieser Kategorien siehe: Roth, Wendy D. 2010. Racial Mismatch: The Divergence Between Form and Function in Data for Monitoring Racial Discrimination of Hispanics. Social Science Quarterly 91/5, S. 1288-1311, onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/j.1540-6237.2010.00732.x, sowie: Gonzales-Barrera, Ana/Mark Hugo Lopez 2015. Is being Hispanic a matter of race, ethnicity or both? Pew Research Center, Facttank, June 15, https://www.pewresearch.org/fact-tank/2015/06/15/is-being-hispanic-a-matter-of-race-ethnicity-or-both/.


2 Die im Schaubild zum Vergleich gewählten Zeiträume sind nicht deckungsgleich. Grundsätzlich gilt für alle Länder, dass die Gewaltraten relativ stabil blieben und zwar sowohl die der Tötungsdelikte als auch die der Tötungen durch die Polizei. Die Daten für intentionale Tötungsdelikte entstammen dem umfassenden Datensatz des United Nations Office on Drugs and Crime (https://dataunodc.un.org/content/data/homicide/homicide-rate). Gewählt wurden die letzten für alle Vergleichsländer vorhandenen 8 Jahre. Tödliche Polizeigewalt ist für die in das Schaubild aufgenommenen Länder mit Ausnahme der USA ein extrem seltenes Ereignis mit in der Regel weniger als 10 Fällen pro Jahr (Österreich 1, Finnland 0,4; England & Wales 2,6; Australien 4,4 und Deutschland 8,9 pro Jahr). Da hier Einzelereignisse große Unterschiede ausmachen können, wurden jeweils Zeiträume von mindestens 10 Jahren gewählt. Für die USA wurden die Jahre 2015-2020 ausgewählt, da der umfassende Washington Post Datensatz, der mehr als doppelt so viele Fälle erfasst wie der FBI-Datensatz, erst seit 2015 existiert. Auch hier bleiben die Zahlen sehr stabil mit ca. 1.000 Tötungen pro Jahr.


3 Eine nationale Umfrage des Pew Research Institutes zeigte auf, dass sich über 80% der Polizisten „ernsthafte Sorgen über ihre körperliche Unversehrtheit bei der Arbeit machen.“ Anders ausgedrückt, diese Polizisten haben mehr oder weniger häufig Angst bei ihrer Arbeit (Rich Morin et al 2017. Behind the Badge. Pew Research Center, Zitat S. 79; https://www.pewsocialtrends.org/wp-content/uploads/sites/3/2017/01/Police-Report_FINAL_web.pdf).


4 Osse, Anneke/Ignacio Cano 2017. Police use of firearms: an international comparison. The International Journal of Human Rights 21:5, 629-649, https://doi.org/10.1080/13642987.2017.1307828.


5 Fridel, Emma E./Keller G. Sheppard/Gregory M. Zimmerman 2019. Integrating the Literature on Police Use of Deadly Force and Police Lethal Victimization: How Does Place Impact Fatal Police-Citizen Encounters? Journal of Quantitative Criminology, https://doi.org/10.1007/s10940-019-09438-5.


6 In diesem Spotlight verwende ich durchgehend den weitaus umfangreichsten Datensatz zu Tötungen durch die Polizei, der seit 2015 von der Washington Post erarbeitet wird. Dieser ist insofern unvollständig, als er nur Tötungen durch Schusswaffen umfasst (z.T. auch Fälle von Schusswaffen- und Tasereinsatz). Fälle, wie der von George Floyd, der unter dem Knie eines Polizisten erstickte, sind nicht aufgenommen.
Nach dem weitaus unvollständigeren Datensatz des FBI erfasst Schusswaffeneinsatz durchgängig mehr als 98% der Fälle die als „justifiable homicide“ kategorisiert werden (siehe: FBI. 2018 Crime in the United States: Expanded Homicide Data Table 14; ucr.fbi.gov/crime-in-the-u.s/2018/crime-in-the-u.s.-2018/tables/expanded-homicide-data-table-14.xls).
Es gibt alternative Datensätze, die auch Fälle erfassen, in denen andere Waffen zum Tod führten (z.B: Mapping Police Violence; policeviolencereport.org, für die Daten siehe: mappingpoliceviolence.org/s/MPVDatasetDownload.xlsx). Dieser Datensatz reicht zurück bis 2013 und erfasst 10% mehr Tötungen als der der Washington Post, da er alle Einsätze mit aufnimmt, die zum Tod eines Zivilisten durch polizeiliches Handeln geführt haben. Schließlich ist noch der Datensatz von Fatal Encounters zu erwähnen, der bis zum Jahr 2000 zurückreicht (https://fatalencounters.org/; docs.google.com/spreadsheets/d/1dKmaV_JiWcG8XBoRgP8b4e9Eopkpgt7FL7nyspvzAsE/edit. Dieser Datensatz weist die mit Abstand höchsten Zahlen auf, doch sind erfasste „fatal encounters“ nicht immer auf aktive Gewaltanwendung der Polizei beschränkt. Auch erfasst werden z.B. Verfolgungsjagden, die mit dem tödlichen Unfall des Verdächtigen enden.


7 Siehe hierzu den Fatal Encounters Datensatz. Dies gilt für die Jahre 2013 bis 2019 für 8 Städte z.B. Reno, wo die Polizei im Schnitt in diesen sieben Jahren 3 Schwarze erschoss (d.h. pro Jahr 12 Schwarze pro 100.000 männliche schwarze Einwohner). In Oklahoma City starben im gleichen Zeitraum 25 Schwarze (oder eine Rate von 8,5 pro 100.000 Einwohner). In dieser Stadt wurden in diesem Zeitraum insgesamt 48 Menschen durch die Polizei erschossen, davon 25 Schwarze, 7 Latinos und 13 Weiße. Der Bevölkerungsanteil der Schwarzen betrug ca. 14,6%, der der Latinos 19,2 und der der Weißen 67,5 (siehe die Daten von Fatal Encounters und die Bevölkerungsdaten von https://www.census.gov/.

8 Tabelle "Schwarze Amerikanerinnen und Amerikaner als Opfer und Täter tödlicher Gewalt".

Quellen:

Anteil der Schwarzen an der Bevölkerung: United States Census Bureau 2020. 2019 Population Estimates by Age, Sex, Race and Hispanic Origin. June 25: NC-ESTR2019-SR11H (Annual Estimates of the Resident Population by Sex, Race, and Hispanic Origin for the United States: April 1, 2010 to July 1, 2019; https://www2.census.gov/programs-surveys/popest/tables/2010-2019/national/asrh/nc-est2019-sr11h.xlsx.

Schwarze Opfer in % von bekannt und Schwarze Täter*innen in % von bekannt: FBI 2011-2020. Crime in the United States. Expanded Homicide Data Table 6: Murder: Race, Sex, and Ethnicity of Victim by Race, Sex, and Ethnicity of Offender, alternative Table 3: Murder Offenders by Age, Sex, Race, and Ethnicity. (Jahresstatistiken mit absoluten Zahlen, hier in Prozent umgerechnet), https://ucr.fbi.gov/crime-in-the-u.s.

Getötete Polizist*innen: FBI (2011-2020). Law Enforcement Officers Killed & Assaulted. (Jahresstatistiken mit absoluten Zahlen, hier in Prozent umgerechnet), zumeist Tables 44 bis 47 je nach Jahr; ucr.fbi.gov/leoka.

Von Polizist*innen getötet: Washington Post. Fatal Force Database. https://github.com/washingtonpost/data-police-shootings.

Anteil von Schwarzen an wegen Tötungsdelikten Verhafteten: FBI (2010-2019). Crime in the United States. Expanded Homicide Data Table 43A: Arrests by Race and Ethnicity (Jahresstatistken mit absoluten Zahlen, hier in Prozent umgerechnet); ucr.fbi.gov/crime-in-the-u.s.

Siehe auch weiterführend: Arndt, Maria/Lisa Stolzenberg/Stewart J. D’Alessio 2020. The Effects of Race and Physical Evidence on the Likelihood of Arrest for Homicide. Race and Justice, S. 1-21, https://doi.org/10.1177/2153368719900358; Lewis, Nathaniel 2018. Mass Incarceration: New Jim Crow, Class War, or Both? People’s Policy Project, https://www.peoplespolicyproject.org/wp-content/uploads/2018/01/MassIncarcerationPaper.pdf; Klahm, Charles F./Rob Tillyer 2010. Understanding Police Use of Force: A Review of the Evidence. Southwest Journal of Criminal Justice 7/2, S. 214-239.

9 Federal Bureau of Investigation. Law enforcement officers killed & assaulted. ucr.fbi.gov/leoka/2019/topic-pages/tables/table-42.xls, https://ucr.fbi.gov/leoka/2017/topic-pages/tables/table-42.xls.

10 U.S. Department of Justice, Bureau of Justice Statistics 2001. Policing and Homicide, 1976-98: Justifiable Homicide by Police, Police Officers Murdererd by Felons. Washington D.C., https://www.bjs.gov/content/pub/pdf/ph98.pdf.

11 Fachner, George/Steven Carter 2015. Collaborative Reform Initiative: An Assessment of Deadly Force in the Philadelphia Police Department. Collaborative Reform Initiative. Washington, DC: Office of Community Oriented Policing Services, S. 33.

12 David J. Johnson/Trevor Tress/Nicole Burkel/Carley Taylor/Joseph Cesario 2019, “Officer characteristics and racial disparities in fatal officer-involved shootings.” PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, August 6, 2019 116 (32) 15877-15882. Zum Gleichen Schluss kommen Menifield, Charles E./Geiguen Shin/Logan Strother 2018. Do White Law Enforcement Officers Target Minority Suspects? Public Administration Review 79/1, S. 56-68.
Eine Reihe von Experimenten, in denen Polizist*innen unterschiedlicher Hautfarbe in Simulatoren auf potenzielle Angreifer unterschiedlicher Hautfarbe reagieren mussten, ergab Ergebnisse die ebenfalls die These des individuellen Rassismus als gewaltreibende Determinante in Frage stellt. In mehreren Studien zeigten James und Koautoren, dass Polizist*innen “were significantly slower to shoot armed Black suspects than armed White suspects and that they were significantly less likely to mistakenly shoot unarmed Black suspects than unarmed White suspects” (James, Loi/Stephen M. James/Bryan J. Vila 2016. The Reverse Racism Effect: Are Cops More Hesitant to Shoot Black Than White Suspects? Criminology & Public Policy 15/2: 457-479, Zitat: S. 462). Diese Experimente sind insbesondere deshalb relevant, weil die teilnehmenden Polizist*innen gleichzeitig an einem standardisierten Test zur Analyse impliziten Rassismus teilnahmen und im Test in hohem Maß entsprechende unbewusste rassistische Vorurteile aufwiesen, die eine schwarze Hautfarbe mit Bedrohung assoziiert.
Das Vorhandensein impliziter Vorurteile scheint per se keine Vorhersage zu erlauben über die Entscheidung der einzelnen Polizist*innen tödliche Waffengewalt anzuwenden. Vielmehr resultiert ein paradoxes Ergebnis: „our findings suggest that implicit bias does not result in racially motivated decisions to shoot in an expected way—our police participants displayed a counter bias or ‘reverse racism’ effect when tested in a deadly force judgement and decision-making simulator” (James et al. 2016, S. 470). www.pnas.org/content/pnas/116/32/15877.full.pdf; Frank, Edweards/Hedwig Lee/Michael Esposito 2019. Risk of being killed by police use of force in the United States by age, race-ethnicity, and sex. PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America), August 20, 16793-16798.

13 Betont werden muss, dass eine Verbindung zwischen Regierungspartei und Polizei-Rassismus nicht auffindbar ist. Zwar sind 7 der 10 Staaten mit den niedrigsten Tötungsraten demokratisch regiert. Doch ist die Überrepräsentanz von Schwarzen und die Unterrepräsentanz von Weißen unter den Opfern gerade in diesen Gliedstaaten besonders stark ausgeprägt. Im kleinen Rhode Island haben Schwarze einen Bevölkerungsanteil von 8.5%, stellen aber 50% der Opfer tödlicher Polizeigewalt, Weiße demgegenüber nur 25%, obgleich sie einen Bevölkerungsanteil von 71% haben. Im seit mehr als 100 Jahren demokratisch regierten Haupstadtdistrikt waren 12 von 13 Opfern schwarz, obgleich Schwarze nur 46% der Bevölkerung stellen.
Demgegenüber starben in New Mexico in den fünf Jahren 100 Menschen, davon ein Schwarzer, 59 Latinos und 26 Weiße, was in etwa ihren Bevölkerungsanteilen entsprach. Generell liegt die Unterrepräsentanz der Weißen unter den Opfern in den Regionen mit geringem Schwarzen-Anteil in der allgemeinen Bevölkerung niedriger als in denen mit hohem Schwarzen-Anteil, was für eine allgemein gewalthaltige Strategie der polizeilichen Arbeit spricht, so etwa in Texas, wo Weiße 41% der Bevölkerung stellen und 38% der Opfer, oder in Mississippi, wo der Anteil der Weißen an der Bevölkerung und an den Opfern tödlicher Polizeigewalt bei 56% liegt.
Dies alles legt nahe, dass eine Kausal-Analyse auch regionale Unterschiede berücksichtigen muss, wie beispielsweise Hirschfeld in einer Studie über die regional unterschiedliche Rolle traditioneller amerikanischer Werte (Hirschfeld 2015. Lethal Policing: Making Sense of American Exceptionalism. Sociological Forum 30/4: S. 1109-1117). Hirschfelds Ansatz verweist indirekt auf die Forschung zu regionalen Unterschieden in Bezug auf Tötungsdelikte, die auf die spezifische Rolle der „Ehrkultur“ im amerikanischen Süden und Westen rekurrieren (Nisbett, Richard E/Dov Cohen 1996. Culture of Honor: The Psychology of Violence in the South. New York/London: Routledge; Cohen, Dov/Richard E. Nisbett 1997. Field Experiments Examining the Culture of Honor: The Role of Institutions in Perpetuating Norms About Violence. Personality and Social Psychology Bulletin, 23/11, S. 1188-1199; Grosjean, Pauline 2014. A History of Violence: The Culture of Honor and Homicide in the US South. Journal of the European Economic Association, 5/1, S. 1285-1316; Baller, Robert D./Matthew P. Zevenbergen/Steven F. Messner 2009. The Heritage of Herding and Southern Homicide: Examining the Ecological Foundation of the Code of Honor Thesis. Journal of Research in Crime and Delinquency 46/3: 275-300; aber: Loftin, Colin/David McDowall 2003. Regional Culture and Patterns of Homicide. Homicide Studies 7/4: 353-367).

14 Dean Knox/Jonathan Mummolo 2020. Toward a General Causal Framework for the Study of Racial Bias in Policing. Journal of Political Institutions and Political Economy, 1: 1-38. Für einen knappen Überblick über die Rolle von Hautfarbe im Kontext anderer Faktoren und den Mangel an eindeutigen Daten siehe Peeples, Lynne 2020. Brutality and Racial Bias: What the Data Say. Nature Bd. 583, 2 Juli, 22-24.
Eine Studie von Roland Fryer zeigt anhand der Analyse zweier voneinander unabhängiger Datensätze, dass Schwarze eine deutlich höhere Gefahr laufen, dass die Polizei gegen sie nicht-tödliche Formen von Zwang anwendet. Er zeigt aber auch, dass dies nicht für die Schusswaffenanwendung gilt. Nach Fryer’s Analyse liegt für Schwarze die Gefahr, dass Polizist*innen auf sie schießen 23.8% unter der für Weiße (Fryer, Roland G. Jr. 2019. An Empirical Analysis of Racial Differences in Police Use of Force. Journal of Political Economy 127/3: 1210-1261.
Schon 2013 werteten Coviello und Persico das heftig umstrittene „Stop and Frisk“ Programm (anlasslose Personenkontrollen) der Polizei von New York City mit Daten zu mehreren Millionen Kontrollen aus. 2011 waren 53% der Kontrollierten schwarz, 34% Latinos und nur 9% weiß. Was auf den ersten Blick wie eindeutiges „racial profiling“ aussieht, sollte, so argumentieren Coviello und Persico, anders interpretiert werden. Sie argumentieren, dass Polizisten möglichst produktive Strategien anwenden sollten, also Personengruppen intensiver kontrollieren sollten, die die meisten Verhaftungen bringen (z.B. Männer gegenüber Frauen). Rassistische Motive lägen dann vor, wenn Personengruppen häufiger kontrolliert werden, obwohl die „Erfolgsquote“ niedriger liegt als bei den anderen Gruppen. Wenn also Schwarze, die häufiger kontrolliert werden als es z.B. ihr Anteil an der Bevölkerung erwarten lässt, auch häufiger wegen spezifischer Delikte verhaftet werden, kann dies darauf zurückzuführen sein, dass die von den Polizist*innen erwartete Erfolgswahrscheinlichkeit für eine Straftat höher liegt und sie diese Gruppe deshalb häufiger kontrollieren. Genau dies war nach Coviello und Persico in New York der Fall. D.h. es liegt in diesem Fall sehr wohl racial profiling vor, das jedoch nicht notwendigerweise rassistisch motiviert ist.
In den 1990er Jahren scheint dies noch anders gewesen zu sein: damals wurden ebenfalls Schwarze weit überproportional angehalten und durchsucht, die „Trefferquote“ lag jedoch unter der für Weiße, was nahelegt, dass rassistische Motive eine Rolle gespielt haben (David Harris 2012. Testimony, Hearing on „Ending Racial Profiling in America. United States Senate Judicary Committee, Washington D.C., 17. April. S. 8-9; www.aila.org/File/Related/12041748B.pdf).
In eine z.T. andere Richtung weisen die Ergebnisse der Auswertung des Criminal Justice Surveys von 2016 durch das Cato Institute. Danach unterscheiden sich die Erfahrungen von Schwarzen und Weißen der unteren Einkommensgruppen mit der Polizei kaum, wohingegen Schwarze mit höheren Einkommen deutlich häufiger über entsprechenden Polizeikontakt berichten als Weiße mit entsprechendem Einkommen (Ekins, Emily 2017. Policing in America: Understanding Public Atitudes Toward the Police. Results from a National Survey. Cato Institute, S. 24; www.cato.org/sites/cato.org/files/survey-reports/pdf/policing-in-america-august-1-2017.pdf).  
Der Fokus auf die Erfolgsquote der Polizeistrategie verschiebt die Frage des rassistischen Bias auf die nächste Ebene, nämlich die, ob Polizist*Innen bei Weißen großzügigere Maßstäbe anlegen und es z.B. in mehr Fällen bei Verwarnungen belassen und so die Erfolgsquote manipulieren. Alternativ kann systemischer Rassismus angenommen werden, etwa indem in Stadtbezirken, in denen vorwiegend ethnische Minderheiten wohnen mehr Polizei eingesetzt und mehr Kontrollen durchgeführt werden (sog. „overpolicing“). Ersteres schließen Coviello und Persico aus, auf letzteres finden sie letztlich keine Antwort aus methodischen Gründen. Grundsätzlich aber argumentieren sie, dass eine rationale Polizeiführung das Ziel verfolgen sollte, Kriminalität zu minimieren. Genau deshalb sollte sie in Bezirken mit hoher Kriminalitätsrate mehr Personal einsetzen. Wenn diese Bezirke überproportional von ethnischen Minderheiten bewohnt sind, erscheint eine höhere Personaldichte als Kontrollmechanismus gegenüber ethnischen Minderheiten. Gerade weil Versuche einer präzisen Analyse zu sichtlich uneinheitlichen Ergebnissen kommen ist die vereinfachende Verknüpfung von Polizeigewalt und individuellem (aber auch systemischem) Rassismus problematisch.

15 Lee, Matthew R./ Michael O Maume/Graham C. Ousey. Social Isolation and lethal Violence Across the Metro/Nonmetro Divide: The Effects of Socioeconomic Disadvantage and Poverty Concentration on Homicide. Rural Sociology 68/1, S. 107-131; Fachner, George/Steven Carter 2015. Collaborative Reform Initiative: An Assessment of Deadly Force in the Philadelphia Police Department. Collaborative Reform Initiative. Washington, DC: Office of Community Oriented Policing Services, S. 20-21.
Dieser Zusammenhang wird auch bestätigt von Ross, der jedoch betont, dass kein Zusammenhang zwischen dem von ihm herausgearbeiteten hohen Tötungsraten von Schwarzen existiert und dem lokalen Kriminalitätsniveau (Ross, Cody T. 2015. A Multi-Level Bayesian Analysis of Racial Bias in Police Shootings at the County-Level in the United States, 2011-2014. PlosOne 10(11), doi: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0141854).

16 Feldman Justin 2020. Police Killings in the U.S.: Inequalities by Race/Ethnicity and Socioeconomic Position. People’s Policy Project, www.peoplespolicyproject.org/wp-content/uploads/2020/06/PoliceKillings.pdf. Hier ist zu betonen, dass der von Feldman genutzte Datensatz (Fatal Encounters) für die von ihm analysierten mehr als vier Jahre keine überproportionale Tötung von Latinos bzw. Latinas ausweist. Dies ist umso überraschender, als anti-Latino bzw. Latina Rassismus in den USA eine lange Geschichte hat und die angebliche Gefahr durch illegale Einwanderung aus Lateinamerika ein prominentes Thema der Trump-Administration war (Ortiz, Vilma/Edward Telles 2012. Racial Identity and Racial Treatment of Mexican Americans. NIH Public Access Author Manuscript, www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3846170/pdf/nihms470196.pdf.
Eine analoge Studie von Lewis (2018) zur Inhaftierung kommt zu dem, in Anbetracht der allgemeinen Diskussion, überraschenden Schluss, dass die Hautfarbe der Inhaftierten keinen statistisch signifikanten Effekt auf die Wahrscheinlichkeit der Inhaftierung hat. „Rasse“ als Determinante ist, folgt man Lewis Argumentation, teilweise ein Oberflächenphänomen, das seine scheinbare Erklärungskraft weitgehend verliert, wenn man „Klasse“ hinzufügt, die er in Form mehrerer zusammengesetzter Indexe (Bildung, Haushaltseinkommen vor der Inhaftierung, etc.) operationalisiert. Durchgängig ist die Erklärungskraft des „Klassenfaktors“ höher als der von „Rasse.“ Letzere wird „nur“ bedeutsam bei der Frage der Haftdauer, konkret bei der Verteilung von Haftstrafen von mehr als einem Jahr, die in allen Quintilen Schwarze deutlich häufiger treffen als Weiße (Lewis 2018. Mass Incarceration: New Jim Crow, Class War, or Both? People’s Policy Project, www.peoplespolicyproject.org/wp-content/uploads/2018/01/MassIncarcerationPaper.pdf). Nazgol Ghandnoosh vom Sentencing Project verdeutlicht dass Rassismus an vielen Stellen der alltäglichen Polizeiarbeit Effekte zeitigt, betont jedoch auch, dass der größte Teil der Unterschiede in Bezug auf die Inhaftierungsraten durch eine höhere Kriminalitätsrate erklärt wird. Die größte Aussagekraft haben dabei Analysen, die auf schwere Straftaten abheben, da hier rassistischer Bias bei der Verurteilung geringer ist: “least racial disparity exists for the most serious offenses and that the most exists for the least serious offenses (for which arrest rates are also poor proxies for criminal involvement). This is because criminal justice practitioners can exercise greater discretion with less serious crimes” (Ghandnoosh 2015. Black Lives Matter: Eliminating Racial Inequity in the Criminal Justice System. The Sentencing Project, Washington D.C., Zitat: S. 14; https://www.https://www.sentencingproject.org/wp-content/uploads/2015/11/Black-Lives-Matter.pdfsentencingproject.org/wp-content/uploads/2015/11/Black-Lives-Matter.pdf).

17 Jacobs, David/Robert M. O‘Brien 1998. The Determinants of Deadly Force: A Structural Analysis of Police Violence. American Journal of Sociology, 103/4: 837-862.

18 Feldman, Justin/ Sofia Gruskin/Brent A. Coull/Nancy Krieger 2019. Police Related Deaths and Neighborhood Economic and Racial/Ethnic Polarization, United States, 2015-2016. American Journal of Public Health, S. 458-464, Zitat: 462 (Übersetzung P.K.)., doi:10.2105/AJPH.2018.304851.

19 Die entsprechenden Daten zu Armutsquoten finden sich in: Semega, Jessica et al. 2020. Income and Poverty in the United States 2019. U.S. Department of Commerce, Census Bureau, Table B-1, S. 56; www.census.gov/content/dam/Census/library/publications/2020/demo/p60-270.pdf.
Zu einer umfassenden Studie zum Zusammenhang zwischen polit-ökonomischer Ordnung und Strafverfolgung siehe Loic Wacquant 2009. Punishing the Poor: The Neoliberal Government of Social Insecurity. Duke University Press. In Kapitel sechs gibt Wacquant eine Analyse davon, wie und warum neo-liberale Ökonomie und ein Justizsystem zusammenspielen, das Schwarze öfter und härter straft als Weiße.

20 Homes, Malcom D./Matthew A. Painter/Brad W. Smith 2019. Race, Place, and Police-caused Homicide in U.S. Municipalities. Justice Quarterly 36/5, S. 751-786, DOI: 10.1080/07418825.2018.1427782.

21 Zum Ausmaß des Rassismus in den USA und seinem Wandel über Zeit, wie er sich in einer Vielzahl von Meinungsumfragen seit den 1940er Jahren darstellt siehe die umfassende Zusammenstellung „Trends in Racial Attitudes“ durch das Institute of Government and Public Affairs der University of Illinois (https://igpa.uillinois.edu/programs/racial-attitudes). Aufgenommen wurden entsprechende Fragen, die zumindest in drei Umfragen in einem Zeitraum von mindestens 10 Jahren gefragt wurden. Dieser Überblick bietet auch die Möglichkeit die zugrunde liegenden Daten herunterzuladen.

22 Solt, Frederick/Yue Hu/Kevan Hudson/Jungmin Song/Dong Yu 2016. Economic inequality and belief in meritocracy in the United States. Research & Politics, October-December, 1-7; Mijs, Jonathan J.B. 2019. The Paradox of Inequality: Income Inequality and Belief in Meritocracy go Hand in Hand. Socio-Economic Review, https://doi.org/10.1093/ser/mwy051.

23 Siehe: DelValle, Gaby 2020. The police we vote for: how Americans can shape criminal justice with a ballot. The Guardian, 26 Juni, www.theguardian.com/us-news/2020/jun/26/us-police-americans-polls-criminal-justice. In den meisten Städten, werden die Polizeichefs ernannt, vom Bürgermeister, von speziellen Kommissionen oder aber dem Stadtrat, in jedem Fall von gewählten Repräsentanten der lokalen Bevölkerung, die sie im Regelfall auch wieder absetzen können. Ein Polizeidirektor beschreibt die resultierenden politischen Abhängigkeitsstrukturen folgendermaßen:
“With small town politicians, there’s typically no “minimum qualication” standard for getting elected. It’s a popularity contest pure and simple, and all too frequently getting elected has absolutely nothing to do with experience, wisdom or even intelligence. […] If you’re extremely lucky, you’ll answer to a professional town manager who will serve as a buffer between the chief and the town council. At the other end of the spectrum, you will have a town council and mayor telling you what to do with equal authority. That translates into anywhere between five and eight bosses, all of whom may have a personal agenda and may or may not know the first thing about professional law enforcement. When there’s division among the council — a frequent occurrence — as to direction and practices of the police department, the chief is placed in a no-win situation, and the outcome is usually not good” (Hall, Rob 2015. 3 harsh realities of being a police chief. Police1, www.police1.com/chiefs-sheriffs/articles/3-harsh-realities-of-being-a-police-chief-9LrksN0K0fxxTLAL/; siehe auch: Rainguet Fred W./Mary Dodge 2001. The Problems of Police Chiefs: An Examination of the issues in tenure and turnover. Police Quarterly 4/3, 268-288; Matusiak, Matthew C./William R. King/Edward R. Maguire 2017. How perceptions of the institutional environment shape organizational priorities: findings from a survey of police chiefs. Journal of Crime and Justice, 40, S. 5-19, www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/0735648X.2016.1155302.  

24 Nach verschiedenen Surveys befürworten 89-93% der aller Befragten ohne Unterschiede in der Hautfarbe die Einführung von Body-Cams. Ein geringfügig niedrigerer Prozentsatz unterstützt externe Untersuchungsbehörden. Auch hier finden sich kaum Unterschiede nach Hautfarbe der Befragten und nur leichte Unterschiede nach Parteipräferenz (Demokrat*innen: 83%; Republikaner*innen 76%); siehe: Elkins, Emily 2017. Policing in America: Understanding Public Attitudes Toward the Police. Results from a National Survey. Cato Institute, www.cato.org/sites/cato.org/files/survey-reports/pdf/policing-in-america-august-1-2017.pdf; Roper Center for Public Opinion Research 2015. Black, White, and Blue: Americans’ Attitudes on Race and Police. 22 September, ropercenter.cornell.edu/blog/black-white-and-blue-americans-attitudes-race-and-police.
Zur Problematik der Straflosigkeit die sich aus der gegenwärtigen Praxis ergibt siehe: Katz, Walter 2015. Enhancing Accountability and Trust with Independent Investigations of Police Lethal Force. Harvard Law Review, https://harvardlawreview.org/2015/04/enhancing-accountability-and-trust-with-independent-investigations-of-police-lethal-force/.

25 Griffith, David 2018. Exclusive Police Survey: Body Cameras. Policemag, 4. September, www.policemag.com/342555/exclusive-police-survey-body-cameras; Hyland, Shelley S. 2018. Body-Worn Cameras in Law Enforcement Agencies, 2016. U.S. Department of Justice NCJ 251775, siehe insbesondere S. 14, Appendix Table 2 officer and community support of body-worn cameras, by agency type and size, 2016, www.bjs.gov/content/pub/pdf/bwclea16.pdf.