Frankreich ist nicht nur das Land der Menschenrechte, sondern hat auch eine lange und grausame Kolonialgeschichte. Der Algerienkrieg (1954-1962) belastet die Beziehungen zwischen Frankreich und Algerien wie ein „Wundbrand“ (Benjamin Stora), aber auch das Verhältnis der französischen Nation zu sich selbst. Der Schleier des Beschweigens, der lange über dieser Geschichte hing, wurde in den letzten Jahren nach und nach gelüftet. Präsident Macron hat den Kolonialismus ein „Menschheitsverbrechen“ genannt und die Folterpraktiken der Armee in Algerien eingestanden, worauf ehemalige Generäle sich prompt zu Wort meldeten, um sie zu verteidigen, wie das Jean-Marie Le Pen seit langem tut. Zu den strammen Wählern des rechtsextremen Front national gehört die Mehrheit der pieds noirs, d.h. der Franzosen, die während und nach dem Algerienkrieg nach Frankreich übergesiedelt sind. Und die harkis, die Algerier, die an der Seite der Kolonialarmee gegen die Aufständischen gekämpft hatten, wurden zunächst in Auffanglagern interniert und lebten danach lange in sozialer Segregation. Ihre Nachkommen sperren sich gegen den republikanischen Kanon der Nation, gegen ein abstraktes Gleichheitsversprechen, das Unterschiede durch Assimilation zu glätten versucht. Sie verlangen Aufklärung und Rechenschaft. Kurzum: Die tiefen politischen Risse in der französischen Gesellschaft haben viel mit dem kolonialen Erbe zu tun. Auf die Herkulesaufgabe seiner Aufarbeitung, der Überwindung des Rassismus und der gesellschaftlichen Integration der Nachfahren der ehedem Kolonisierten bezieht sich der prima facie rätselhaft anmutende Titel von Claus Leggewies neuestem Buch: „Reparationen“ (Kinzelbach Verlag Mainz 2022). Der Untertitel „im Dreieck Algerien, Frankreich, Deutschland“ verweist darauf, dass die Bundesrepublik im Algerienkrieg kein unbeteiligter Zuschauer war.
Über diese Fragen wird im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Was ist los im Nachbarland Frankreich?“ der Heinrich-Böll-Stiftung Hessen diskutiert.
Es diskutieren:
- Claus Leggewie, Inhaber der Ludwig Börne-Professur und Leiter des „Panel on Planetary Thinking“ an der Justus-Liebig-Universität Gießen
- Sahra Rausch, Doktorandin an der Justus-Liebig-Universität Gießen und an der Université de Paris I, Panthéon-Sorbonne
Moderation:
- Bruno Schoch, Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung
Wann: Mittwoch, 13. Juli 2022, 19:00 Uhr
Wo: Ökohaus, Kasseler Str. 1a, Frankfurt/M. // online im Livestream
Weitere Informationen finden Sie auf der Website der Böll-Stiftung Hessen.