[1] „Donald Trump Delivers Foreign Policy Speech“, 27.4.2016, https://cftni.org/recent-events/donald-trump-delivers-foreign-policy-speech/.
[2] So im Interview mit der Washington Post, s. Dana Priest/Greg Miller: “He Was One of the Most Respected Intel Officers of His Generation. Now He’s Leading ‘Lock Her up’ Chants”, 15.8.2015, www.washingtonpost.com/world/national-security/nearly-the-entire-national-security-establishment-has-rejected-trumpexcept-for-this-man/2016/08/15/d5072d96-5e4b-11e6-8e45-477372e89d78_story.html.
[3] So in seiner Presseerklärung vom 15.11.2016 zum ersten Telefonat Putins mit Trump nach dessen Wahl, www.mccain.senate.gov/public/index.cfm/2016/11/statement-by-sasc-chairman-john-mccain-on-u-s-russia-relations.
[4] Dies hat am 5.1.2017 mit einer Anhörung des von McCain geleiteten Senate Armed Services Committee bereits begonnen. Sie offenbarte allerdings, dass die meisten republikanischen Senatoren wenig Neigung haben, sich in der Hacker-Affaire gegen Trump – und damit gegen Putin – zu positionieren. So wird es z.B. einen Sonderausschuss, wie ursprünglich von McCain und Graham geplant, nicht geben. Siehe Sean Sullivan: “At Senate Hearing, Most Republicans Avoid Crossing Trump on Russian Meddling in Election”, www.washingtonpost.com/news/powerpost/wp/2017/01/05/at-senate-hearing-most-republicans-avoid-crossing-trump-on-russian-meddling-in-election.
[5] Siehe Fn. 1.
[6] Es ist daher kein Zufall, dass McCain die Weihnachtspause nutzte, um der Ukraine einen demonstrativen Frontbesuch abzustatten.

Russland: Reset revisited?

von Hans-Joachim Spanger

in: Caroline Fehl und Marco Fey (Hg.), "America first": Die Außen- und Sicherheits­politik der USA unter Präsident Trump, HSFK-Report Nr. 1/2017, Frankfurt/M, S. 26-28.

Die Beziehungen zwischen den USA und Russland haben seit der Ukraine-Krise einen Tiefpunkt erreicht, der viele Beobachter an die dunkelsten Zeiten des Kalten Krieges erinnert. Es ist daher kaum verwunderlich, dass sich mit der Wahl Donald Trumps die Erwartung verbindet, das aktuelle Tal wieder verlassen zu können. Tatsächlich hat Trump mehrfach solchen Erwartungen Nahrung gegeben. Sie reichen von der demonstrativen Wertschätzung für Wladimir Putin über sein Verständnis für Russlands Annexion der Krim und die russische Kriegsführung in Syrien bis hin zum Unverständnis für das US-lastige burden sharing in der NATO.

Neben diesen Wahlkampfsignalen gibt es jedoch auch zwei grundlegendere Momente, die nahelegen, dass sich tatsächlich etwas zwischen Washington und Moskau ändern könnte, wenngleich beide auch eine Kehrseite haben. 

Zum einen handelt es sich um Trumps Bekenntnis zum außenpolitischen Realismus, das er nicht zufällig in seiner bis dato einzigen außenpolitischen Grundsatzrede am 27. April 2016 im Center for the National Interest vortrug - als einzige russophile Stimme im Washingtoner Establishment. Dass er unter der Parole America first engst möglich den eigenen nationalen Interessen folgen will und sich zudem explizit von einer Politik verabschiedete, die den westlichen Werten und deren globaler Verbreitung verpflichtet ist, war natürlich Musik in Moskauer Ohren. Auch dort stehen die nationalen Interessen im Mittelpunkt und gilt der amerikanische Demokratieexport als Grundübel der Epoche. Mit Trump verbindet sich folglich die Hoffnung auf einen Interessenausgleich unter Gleichen. 

Das könnte auch Trump vorgeschwebt haben, als er in besagter Rede ausführte, mit Russland – trotz „ernsthafter Differenzen“ – in aller Offenheit einen „great deal“ anstreben zu wollen [1]. Dies soll natürlich aus einer Position der Stärke geschehen und auf strikter Gegenseitigkeit beruhen. Von Gegenseitigkeit ist indes auf russischer Seite bislang nicht viel zu sehen, Abwarten dominiert. Das hat mit dem russischen Erwartungsmanagement zu tun. Dabei bremsen die nach Moskauer Lesart durchgängig negativen Erfahrungen mit Trumps Vorgängern die eigene Leistungsbereitschaft ebenso wie die Einschätzung, dass sich der Westen und die USA im Zeichen der globalen Machtverschiebung ohnehin auf einem absteigenden Ast befinden. Trump bekräftigt diese Wahrnehmung in doppelter Weise: als Wahlsieger auf einer populistischen Welle, die die westliche „Mainstream“-Front gegen Putin weiter schwächt und als Repräsentant eines isolationistischen Rückzugs der USA.

Das zweite Moment hat mit den Persönlichkeiten Trumps und Putins zu tun, denn beide repräsentieren Max Webers Idealtyp des charismatischen Herrschers, bei dem Regelverletzungen und Unberechenbarkeit – von Putin in der Ukraine-Krise exzessiv praktiziert, von Trump in besagter Rede explizit gefordert – zur Selbstinszenierung gehören. Zu diesem Politikstil gehören auch Männerfreundschaften, die mehr zählen als Institutionen, Regeln und Verfahren. Bei deren Anbahnung hat es Putin in der Vergangenheit zu einiger Meisterschaft gebracht. Mit Berlusconi, Chirac und Schröder sicherte dies Russland den ersehnten Platz am Tisch der Mächtigen; mit George W. Bush hingegen blieb der Männerbund bloße Dekoration einer Politik, die Russland allenfalls am Katzentisch tolerierte. Was sich unter Trump durchsetzt, ist völlig offen. Dabei kommt es auch auf sein personelles Umfeld an.

Einerseits hat Trump mit Rex Tillerson einen Außenminister und mit Michael Flynn einen Nationalen Sicherheitsberater mit einschlägiger Vergangenheit installiert. Tillerson ist Träger des russischen Ordens für (Völker-)Freundschaft, seit Jahrzehnten im Russland-Business aktiv und erklärter Gegner der Sanktionen. Flynn wiederum rechtfertigte die Notwendigkeit eines Zusammengehens mit Moskau unter anderem damit, dass er den (bei ihm alles beherrschenden) Kampf gegen den Islam(ismus) in eine Reihe mit dem gemeinsam erfolgreichen Kampf gegen Hitler stellte. Auch hatte er es sich 2015 nicht nehmen lassen, gegen gute Bezahlung – „I got paid so much“ – den Pausenclown bei einer Jubiläumsveranstaltung des russischen Auslandssenders RT zu spielen [2]. Man darf beiden also eine gewisse Russlandaffinität unterstellen, und es bleibt abzuwarten, ob und wie Vizepräsident Pence und Verteidigungsminister Mattis ihre deutlich distanziertere Haltung zur Geltung bringen können.

Im Kongress indes dominiert bei den Republikanern (und kaum anders bei den Demokraten) eine ausgeprägte Russlandphobie. Unmittelbar nach seinem Wahlerfolg setzte daher dort die Gegenbewegung ein mit dem Ziel, Trumps Bewegungsfreiheit nach Osten so weit wie möglich zu begrenzen. Dies geschah zum einen rhetorisch, etwa durch John McCains Warnung, ein neuerliches „Reset“ komme einer „Komplizenschaft mit Putins und Assads Abschlachten des syrischen Volkes“ gleich [3]. Zum anderen wollen russlandkritische Senatoren in dichter Folge Kongressanhörungen zu Russland und namentlich zu dessen Einmischung in den amerikanischen Wahlkampf veranstalten [4]. Und nicht zuletzt planen republikanische Mitglieder beider Häuser zahlreiche Gesetzesinitiativen, die Russland direkt ins Visier nehmen, von militärischer Unterstützung für die osteuropäischen NATO-Verbündeten (und die Ukraine) bis zu einem (bindenden) Sanktionsbeschluss gegen alle, die die syrische Regierung im Bürgerkrieg unterstützen.

Mit diesen Aktivitäten deutet sich bereits an, dass Trump Schwierigkeiten haben dürfte, in Syrien an der Seite Russlands (und Assads) in den Krieg gegen den Islamismus zu ziehen. Zwar teilt er nahezu wörtlich die Moskauer Einschätzung, dass es der US-Interventionismus war, der den Nahen Osten „instabiler und chaotischer gemacht hat als je zuvor“ [5]. Das schließt aber nicht ein, der Agenda anderer Staaten – namentlich Russlands und des Iran – zu folgen. Dafür ist auch unter den US-Militärs der Widerstand zu groß. Dies demonstrierte unter anderem der amerikanische Luftangriff auf die syrischen Truppen am 17. September 2016 in Deir es Zor, der neben Assads Widerwillen das Waffenstillstandsabkommen Kerrys und Lawrows vom 12. September zu Fall brachte. Und wenn Russland an der Seite Assads nach dem Fall Aleppos die Rückeroberung des ganzen Landes fortführt, werden die Grenzen der bislang praktizierten antagonistischen Kooperation kaum zu überwinden sein.

Ähnlich verhält es sich mit der Ukraine, die als Leuchtturm der Freiheit im US-Kongress noch stärker symbolisch besetzt ist [6]. Zwar hat Trumps Team Sorge getragen, dass die Forderung nach Waffenlieferungen an die ukrainischen Streitkräfte aus dem Wahlprogramm der Republikaner gestrichen wurde; auch wird Trump anders als Bush kaum für eine zügige Aufnahme der Ukraine in die NATO plädieren. Aber es ist auch nicht zu erwarten, dass er die wirtschaftliche Hilfe ausweiten oder sich stärker in der Konfliktlösung engagieren wird. Solange der Konflikt auf kleiner Flamme täglicher Scharmützel gehalten werden kann, wird Trump die Europäer kaum aus der Sackgasse des Minsker Abkommens befreien, dessen Umsetzung gerade auch von ukrainischer Seite in den Sternen steht. 

Auch dies folgt im Wesentlichen einer dem Realismus verpflichteten Agenda, was auffällige Parallelitäten zu anderen US-Präsidenten offenbart: Sowohl Bush als auch Obama begannen ihre jeweiligen Amtszeiten im realistischen Geist mit einer expliziten Absage an die vermeintlichen Exzesse des liberalen Internationalismus (Bush) und des Neokonservatismus  (Obama). In beiden Fällen folgte darauf eine schnelle (Wieder-)Annäherung an Russland, und jedes Mal endete die Amtszeit mit einem immer tieferen Zerwürfnis. Diese zyklische Natur der Beziehungen zwischen Washington und Moskau hat also Tradition, die sogar sehr viel weiter bis zu den Tagen von Chruschtschow und Eisenhower, respektive Kennedy, zurückreicht. Daraus folgt: Selbst wenn es 2017 zu einer neuerlichen Annäherung zwischen Washington und Moskau kommen sollte, ist durchaus offen, ob diese bis 2020 Bestand hat.

Wie wird sich die US-Außen- und Sicher­heits­politik unter Donald Trump gestalten? HSFK-Expertinnen und -Experten werfen im HSFK-Report „America first: Die Außen- und Sicherheits­politik der USA unter Präsident Trump“ Blicke auf Themen, die aus Sicht der Friedens- und Konfliktforschung besonders relevant sind.