Antinomien demokratischer Rüstungskontrolle in den neunziger Jahren

Das von der DFG geförderte Projekt „Antinomien demokratischer Rüstungskontrolle in den neunziger Jahren“ wandte die Annahmen der Theorie vom demokratischen Frieden auf die Rüstungskontrollpolitik an. Demzufolge sind Demokratien kriegsabgeneigt, kostenbewusst und kooperationsfreudig. Daraus leitet sich die Annahme ab, dass Rüstungskontrolle und Abrüstung in der Sicherheitspolitik der Demokratien einen prioritären Platz einnehmen müssten: Sie gelten als Instrumente der Kriegsvorbeugung, dienen der Reduzierung von Rüstungsausgaben und ergänzen Selbsthilfe durch kooperative, häufig institutionalisierte Sicherheitspolitik. In den neunziger Jahren ließen sich in der internationalen Rüstungskontrollpolitik Verhaltensweisen demokratischer Länder beobachten, die von dieser Annahme deutlich abwichen. Die Rüstungskontrollneigung der Demokratien war sehr unterschiedlich. Ausgehend von diesem vorläufigen Befund untersuchte das Projekt die Varianz von Rüstungskontrollpolitik auf den Feldern nukleare Abrüstung, nukleare Nichtverbreitung, nuklearer Teststopp, biologische Waffen, chemische Waffen, konventionelle Waffen, Landminen, Kleinwaffen in Kanada, Schweden, Deutschland, Irland, Österreich, Niederlande, Schweiz, Großbritannien, Frankreich, USA und versuchte, diese Varianz mit dem Ansatz „Antinomien des demokratischen Friedens“ zu erklären. Dieser Ansatz erkennt an, dass die in den Theorien demokratischen Friedens angegebenen Kausalitätsmechanismen zwar korrekt Attribute von Demokratien angeben, die angegebenen politischen „outcomes“ jedoch nicht zwingend, sondern lediglich kontingent aus ihnen hervorgehen. Die Antinomien machen alternative Entwicklungspfade deutlich; das Projekt interpretierte die „Anomalien“ im Lichte dieser alternativen Entwicklungspfade und versuchte die Bedingungen festzustellen, unter denen diese Alternativen zum Tragen kommen. Wir prüften ferner die Erklärungskraft alternativer Variablen (Machtstatus, Sicherheitswahrnehmung, Allianzmitgliedschaft, Rüstungsinteressen, demokratischer Systemtyp, Rolle/Identität. Das Projekt schloss seine empirische Arbeit 2008 ab.


Die Ergebnisse zeigten, dass Machtstatus mit der Politik in den nuklearen Feldern korreliert, aber nicht in den übrigen Feldern. Allianzmitgliedschaft und Rüstungsinteressen können eine modifizierende Wirkung ausüben, aber wir konnten keine systematischen kausalen Effekte identifizieren. Die NATO-Mitgliedschaft erlegt den nicht-nuklearen Mitgliedsstaaten Zurückhaltung in der nuklearen Abrüstung auf, aber hat keine generellen Rüstungskontrolleffekte, während die EU-Mitgliedschaft im Untersuchungszeitraum eher rüstungskontrollfördernd wirkte. Die Politik liegt zu größten Teilen in den Händen der Fachbürokratie, und die Zivilgesellschaft übt nur punktuell und nur in einigen der untersuchten Demokratien merklichen Einfluss aus; das bedeutet, dass Demokratie eher als Hintergrundfaktor denn als direkt wirkender Faktor zu sehen ist. Allerdings übt die öffentliche Meinung insoweit einen Einfluss aus, als Bürokratie und Entscheidungsträger deren Präferenzen antizipieren, wenn sie in die Politikformulierung eintreten. In den meisten Feldern und den meisten Ländern zeigte sich Identität/Rolle als die plausibelste Erklärung für die Ausprägung der Rüstungskontrollpolitik. Die Akteure formulieren und rechtfertigen ihre Politik im Lichte von etablierten Selbstbildern und den darin eingebetteten Werten und Erwartungen. Wenn Macht, Sicherheitserwägungen und Allianzzugehörigkeit Einfluss nehmen, gehen auch ihre Impulse durch den Filter dieser Selbstbilder. Konflikte zwischen dem Identitäts- und dem Rollen-(Fremderwartungs)-Anteil der Selbstbilder kann bestimmte auffällige Inkonsistenzen der Politik erklären. Für Staaten in unserem Sample mit der aktivsten Rüstungskontrollpolitik im Untersuchungszeitraum, Kanada, Irland und Schweden, konnte gezeigt werden, wie der „proaktive Imperativ“ in Rüstungskontrolle und Abrüstung sich historisch herausgebildet und pfadabhängig zum Bestandteil des Selbstbildes geworden ist.

Projektleitung:
Mitarbeiter/innen:
1
Die Chance nutzen! | 2013

Fey, Marco / Müller, Harald / Becker-Jakob, Una / Franceschini, Giorgio / Rosert, Elvira / Schaper, Annette / Schmidt, Hans-Joachim / Schörnig, Niklas / Wisotzki, Simone (2013): Die Chance nutzen! Zum Stand von Rüstungskontrolle und Abrüstung, in: von Boemcken, Marc/Werkner, Ines-Jaqueline/Johannsen, Margret/Schoch, Bruno (Hg.), Friedensgutachten 2013, Berlin: LIT Verlag, 165-179.

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2
Ende oder Neuordnung der konventionellen Rüstungskontrolle? | 2008

Hans-Joachim Schmidt, Ende oder Neuordnung der konventionellen Rüstungskontrolle?, HSFK-Report Nr. 3/2008, Frankfurt/M.

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3
Alte Probleme in neuem Gewand? | 2008

Tabea Seidler-Diekmann, Alte Probleme in neuem Gewand? Herausforderungen an das umfassende Chemiewaffenverbot, HSFK-Report Nr. 2/2008, Frankfurt/M.

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4
Licht am Ende des Tunnels? | 2007

Una Becker, Licht am Ende des Tunnels? Die Sechste Überprüfungskonferenz des Biowaffen-Übereinkommens, HSFK-Report Nr. 5/2007, Frankfurt/M.

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5
Light at the End of the Tunnel? | 2007

Una Becker, Light at the End of the Tunnel? The Sixth Review Conference of the Biological Weapons Convention, PRIF Report No. 79, Frankfurt/M., 2007.

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6
Wider die Aufrüstungs-Globalisierung: Plädoyer für eine nachhaltige Abrüstungsinitiative | 2007

Harald Müller, Wider die Aufrüstungs-Globalisierung: Plädoyer für eine nachhaltige Abrüstungsinitiative, in: Bruno Schoch, Andreas Heinemann-Grüder, Jochen Hippler, Markus Weingardt, Reinhard Mutz (Hg.), Friedensgutachten, Münster (LIT Verlag), 2007, S. 135-146.

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7
Multilateralisierung des Brennstoffkreislaufs | 2006

Harald Müller, Multilateralisierung des Brennstoffkreislaufs: Ein Ausweg aus den Nuklearkrisen?, HSFK-Report Nr. 10/2006, Frankfurt/M.

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8
Libyens Selbstentwaffnung | 2006

Harald Müller, Libyens Selbstentwaffnung. Ein Modellfall?, HSFK-Report Nr. 6/2006, Frankfurt/M.

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9
While Waiting for the Protocol | 2005

Una Becker/Harald Müller/Carmen Wunderlich, While Waiting for the Protocol: An Interim Compliance Mechanism for the Biological Weapons Convention, in: The Nonproliferation Review, Vol. 12, No. 3, November 2005, S. 541-572.

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10
Kleinwaffen ohne Grenzen | 2005

Simone Wisotzki, Kleinwaffen ohne Grenzen. Strategien jenseits der Rüstungskontrolle gefordert, HSFK-Report Nr. 15/2005, Frankfurt/M.

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11
Impulse für das Biowaffenregime | 2005

Una Becker/Harald Müller/Carmen Wunderlich, Impulse für das Biowaffenregime: Ein provisorischer Compliance-Mechanismus als Schritt aus der Sackgasse, HSFK-Report Nr. 7/2005, Frankfurt/M.

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12
Vertrag im Zerfall? | 2005

Harald Müller, Vertrag im Zerfall? Die gescheiterte Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrags und ihre Folgen, HSFK-Report Nr. 4/2005, Frankfurt/M.

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13
Sicherheit durch Volksentscheid? | 2005

Tabea Seidler, Sicherheit durch Volksentscheid? Das Schweizer Engagement in friedenserhaltenden Operationen und der Landminenfrage, HSFK-Report Nr. 3/2005, Frankfurt/M.

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14
Demokratie und nukleare Rüstungskontrolle | 2005

Una Becker/Harald Müller, Demokratie und nukleare Rüstungskontrolle, in: Götz Neuneck/Christian Mölling (Hg.): Die Zukunft der Rüstungskontrolle, Baden-Baden: Nomos, 2005, S. 17-28.

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15
Abschreckung ohne Ende? | 2004

Simone Wisotzki, Abschreckung ohne Ende? Die ambivalente Nuklearwaffenpolitik Großbritanniens und Frankreichs, HSFK-Report Nr. 11/2004, Frankfurt/Main

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16
US Nuclear Policy after the Cold War | 2004

Harald Müller/Annette Schaper, US Nuclear Policy after the Cold War, PRIF Report No. 69, Frankfurt/M., 2004.

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17
Abrüstungsaktivist Irland | 2003

Una Becker, Abrüstungsaktivist Irland: Bündnispartner deutscher Politik im nuklearen Nichtverbreitungsregime?, HSFK-Report Nr. 11/2003, Frankfurt/M.

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18
Nukleare Krisen und transatlantischer Dissens | 2003

Harald Müller, Nukleare Krisen und transatlantischer Dissens. Amerikanische und europäische Antworten auf aktuelle Probleme der Weiterverbreitung von Kernwaffen, HSFK-Report Nr. 9/2003, Frankfurt/M.

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19
US-Nuklearpolitik nach dem Kalten Krieg | 2003

Harald Müller/Annette Schaper, US-Nuklearpolitik nach dem Kalten Krieg, HSFK-Report Nr. 3/2003, Frankfurt/M.

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Förderer

Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
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www.dfg.de