Bericht

GNET-Workshop „Between Broadcasting and Hide-and-Seek: How extremists use alternative (social) media platforms“ am 23. Februar 2022

Die Online-Sphäre wird immer komplexer, vielfältiger und es wird immer komplizierter, sich darin zurecht­zufinden. Jeden Tag werden enorme Daten­mengen hochgeladen und es wird eine Vielzahl neuer (sozialer) Medien­plattformen und Chat-­Anwendungen ins Leben gerufen, die zu einer Ausbreitung von Inhalten und Nutzer:innen in einem stetig wachsenden Netz von Online-­Communities führen. Von Tik Tok bis Discord, von Gab bis Telegram und von BitChute bis DLive – Millionen von Nutzer:­innen tauschen sich in einer Vielzahl neuer digitaler Räume mit unter­schiedlichen Konventionen und Inhalten aus.

Es ist zu erwarten, dass Extremist:­innen jeder ideologischen Couleur diese alternativen (sozialen) Medien­plattformen sowohl für ihre eigene interne Kommunikation als auch für die Verbreitung von Propaga­ndamaterial und die potenzielle Anwerbung neuer Anhänger:­innen nutzen. Die Nutzung einer so großen Vielfalt von Platt­formen durch extremistische Akteure stellt eine Heraus­forderung für Forschung, Straf­verfolgung und Präventions­akteure dar, da sich Extremist:­innen schnell an neue Online-­Räume anpassen, während die Forschung und das praktische Wissen über Sub­kulturen, die Daten­erfassung und die Analyse dieser digitalen Räume immer mehrere Schritte hinter­herhinken.

Der GNET-­Workshop „Between Broad­casting and Hide-and-­Seek: How extremists use alternative (social) media platforms“, der von der HSFK in Zusammen­arbeit mit ISD Germany organisiert wurde, diskutierte, wie Extremist:­innen versuchen, digitale Platt­formen außer­halb der populären, etablierten Social Media-­Seiten zu nutzen. Der Work­shop fand am 23. Februar 2022 online statt und richtete sich an Expert:­innen aus dem Bereich der Extremismus­forschung. Drei Podiums­teilnehmer:­innen gaben einen kurzen Forschungs­input, an den sich eine allgemeine Diskussion anschloss. Das Gespräch begann mit einem allgemeinen Überblick über das Ökosystem der alternativen Plattformen, die von Rechts­extremist:­innen in Deutsch­land genutzt werden. Anschließend gingen die Diskussions­teilnehmer:innen auf Telegram und Gaming-­Plattformen als zwei wichtige Fall­beispiele dafür ein, wie Extremist:­innen alternative Räume nutzen.

 

Aus den Vorträgen und Diskussionen kristallisierten sich drei Kern­themen heraus:

1. Telegram: Telegram ist eine zentrale Säule im Öko­system der deutschen extremen Rechten. Obwohl viele etablierte Platt­formen weiterhin genutzt werden, werden viele Nutzer:­innen zu Telegram und danach von Telegram zu anderen alternativen Platt­formen wie Bit­Chute geleitet. Telegram fungiert somit als Drehkreuz-­Plattform, um Nutzer:­innen in weniger regulierte Räume umzuleiten. Telegram selbst wird auch von der deutschen extremen Rechten intensiv genutzt. Diese Nutzung hat seit 2018 exponentiell zugenommen und ist weiter im Steigen begriffen. Es wurde fest­gestellt, dass Gruppen, die mit der extremen Rechten in Verbindung gebracht werden, aktiver und möglicher­weise wichtiger sind als die Kanäle, und dass das Teilen von (Audio-)­Bildmaterial eine große Rolle in den Gesprächen zu spielen scheint. Es wurde nach­gewiesen, dass in der deutschen rechts­extremen Telegram-­Community Misstrauen gegenüber Institutionen, „Calls to Action“ und Verschwörungs­narrative weit verbreitet sind. Unterstützung für gewalt­tätige Aktionen wurde ebenfalls fest­gestellt, scheint aber in den analysierten Kanälen viel weniger stark ausgeprägt zu sein als die drei anderen Themen.

2. Gaming-­Plattformen: Das Forschungs­interesse an der Frage, wie Extremist:­innen Gaming-­Plattformen wie Twitch, DLive, Steam und Discord ausnutzen, ist derzeit stark gestiegen. Es wurde zwar betont, dass wir noch sehr wenig über die Über­schneidung von Gaming und Extremismus wissen, aber es gibt erste Hinweise darauf, dass Extremist:­innen in beliebten Video­spielen wie Minecraft und Roblox sowie auf Gaming-­Plattformen präsent sind. Die Platt­formen scheinen mit Moderation und De­platforming unter­schiedlich umzugehen und nicht überall gleiche Erfolge zu verzeichnen, aber im Allgemeinen scheinen sich Extremist:­innen bewusst zu sein, dass ihre Präsenz in diesen digitalen Räumen nur vorüber­gehend ist und versuchen daher, ihre Präsenz zu diversi­fizieren und auf mehreren Plattformen gleich­zeitig präsent zu sein. Obwohl es nur wenige Beweise dafür gibt, dass Gaming an sich mit Extremismus in Verbindung steht, gibt es kaum Zweifel daran, dass Extremist:­innen auf Gaming-­Plattformen genauso präsent sind wie in anderen sozialen Räumen im Online-­Bereich.

3. Künftige Forschung: Die Diskussions­teilnehmenden empfahlen, dass sich die künftige Forschung stärker auf plattform­spezifische Forschungs­fragen konzentrieren sollte, da Extremist:­innen ihre Inhalte und ihr Verhalten an jede (alternative) Plattform anpassen. Insbesondere im Bereich Gaming ist die Forschungs­lücke groß, und das derzeitige Wissen basiert weit­gehend auf anekdotischen Erkennt­nissen. Darüber hinaus sollte die plattform­übergreifende Migration der Nutzer:­innen weiter untersucht werden, da erste Forschungs­ergebnisse darauf hindeuten, dass Inhalte plattform­übergreifend verbreitet werden und so genannte „Power-User“ in der Lage sind, ihre Anhänger:­innen zum Wechsel von einer Platt­form zur nächsten zu motivieren. In diesem Zusammen­hang wurde empfohlen, dass kleinere Platt­formen wie gutefrage.net (die deutsche Version von Quora) nicht nur in die Forschung, sondern auch in die Outreach-­Arbeit einbezogen werden sollten, um die Moderation von Inhalten in allen alternativen Räumen zu unter­stützen. In Bezug auf Gaming gibt es die klare Empfehlung, dass jeder Aspekt der potenziellen Aus­nutzung von Spiel­räumen und Spiel­inhalten durch Extremist:­innen weitere Forschung erfordert, einschließlich ethno­graphischer Ansätze, die es den Forschenden ermöglichen, Video­spiele mit gefährdeten oder radikalisierten Personen zu spielen, um das Problem besser zu verstehen.


Über GNET

Die HSFK ist ein zentraler institutio­neller Partner des Global Network on Extremism and Technology (GNET), dem akademischen Forschungs­zweig des Global Internet Forum to Counter Terrorism (GIFCT). GNET nahm im Sommer 2020 seine Arbeit auf. GNET zielt darauf ab, besser zu verstehen, wie Extremist:­innen verschiedene Technologien einsetzen. Das Netzwerk fördert Forschung, deren Ergebnisse für die Politik relevant sind und zur Abwehr von realen extremistischen Gefahren beitragen. Die Initiative mit ihrem internationalen Netzwerk von Expert:­innen, wurde vom International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR), das am Kings College London angesiedelt ist, ins Leben gerufen.
Als zentrales institutionelles Mitglied knüpft die HSFK ein euro­päisches Netzwerk von Wissenschaftler:­innen, die neue Entwicklungen im Zusammen­hang mit der Anwendung von Technologie durch Extremist:­innen in Europa identifizieren und erforschen.
Das Projekt ist der HSFK-Forschungs­gruppe „Radikalisierung“ und dem Programm­bereich „Transnationale Politik“ zugeordnet.