Parameter der US-Außenpolitik unter Präsident Trump

von Caroline Fehl und Marco Fey

in: Caroline Fehl und Marco Fey (Hg.), "America first": Die Außen- und Sicherheits­politik der USA unter Präsident Trump, HSFK-Report Nr. 1/2017, Frankfurt/M, S. 1-7.

 

Donald J. Trump ist der 45. Präsident der Vereinigten Staaten. Als er die Wahl im November vergangenen Jahres knapp für sich entscheiden konnte, waren die meisten Beobachter völlig überrascht, auch in Europa. Verteidigungsministerin von der Leyen zeigte sich am Morgen nach der Wahl schockiert, Außenminister Steinmeier prognostizierte schwierige Zeiten für das transatlantische Bündnis [1] und die EU-Außenminister beriefen ein Sondertreffen ein. 

Auch zehn Wochen nach der Wahl hat sich die Aufregung nicht gelegt. Für die USA selbst zeichnet sich ab, dass der Wahlausgang die ohnehin zunehmende Spaltung der Gesellschaft weiter vertiefen dürfte. Auch wenn Trump noch in der Wahlnacht versprach, ein Präsident aller Amerikaner sein zu wollen [2], reagierten Angehörige von Minderheiten mit Sorge auf das Wahlergebnis; zwei Drittel der schwarzen Bevölkerung gaben sogar an, Angst zu empfinden [3]. Seit seiner Wahl hat Trump solche Ängste nicht zerstreuen können, sondern sie im Gegenteil weiter geschürt, indem er etwa den bisweilen als rassistisch beschriebenen Stephen Bannon [4] und eine Reihe prominenter Islamkritiker in sein weiß und männlich dominiertes Kabinett berief [5].  Hinzu kommt, dass der bislang mehr als holprige Prozess der Amtsübergabe von Obama an Trump die politischen Gräben zwischen Demokraten und Republikanern schon jetzt weiter vertieft hat. Kooperationsverweigerung und rhetorische Attacken des gewählten Präsidenten und provokante politische „Abschiedsgeschenke“ des scheidenden Barack Obama haben das Klima weiter vergiftet [6]. 

Diesseits des Atlantiks werden diese innenpolitischen Entwicklungen mit Sorge wahrgenommen, noch brennender interessiert hier aber vor allem die Frage, wie die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik unter Präsident Trump aussehen wird. Wird sie von Kontinuität geprägt sein? Oder wird es gravierende Brüche geben? In diesem Report werfen wir Blicke auf Themen, die aus Sicht der Friedens- und Konfliktforschung besonders relevant sind, und wagen vorsichtige Prognosen über die künftige Außenpolitik der USA unter Präsident Trump.

Seriöse Prognosen zu treffen, ist – anders, als dies bei einer Präsidentin Hillary Clinton der Fall gewesen wäre – schwierig. Trump war in jeglicher Hinsicht ein unkonventioneller Kandidat. Er ist der erste Präsident, der weder einen politischen noch einen militärischen Background hat. Er hat einen skandalträchtigen Wahlkampf geführt, der eine ernsthafte Auseinandersetzung mit seinem Wahlprogramm praktisch verhinderte. In vielen Belangen ist Trump sprunghaft. Während des Wahlkampfs hat er in 23 Themengebieten nachweislich mehr als 140 Positionswechsel vollzogen [7]. Auf die Frage, von wem er sich außenpolitisch beraten lasse, antwortete er sinngemäß „in erster Linie von mir selbst“. Viele Ankündigungen aus dem Wahlkampf sind unvereinbar mit den groben Leitlinien jahrzehntelanger amerikanischer Außenpolitik, geschweige denn mit dem transatlantischen Wertekanon. Hochrangige republikanische Außenpolitiker hatten ihm deshalb im Wahlkampf die Unterstützung verweigert oder sogar in offenen Briefen vor einem Präsidenten Trump gewarnt. 

All dies macht es zwar schwer zu eruieren, für welche Politik Trump konkret stehen wird. Anhand der folgender Parameter lassen sich jedoch gewisse Aussagen treffen: Trumps Persönlichkeit sowie seine Weltsicht / Wahlversprechen und Äußerungen seit der Wahl / Kabinett und Berater / innenpolitische und internationale Zwänge.


Trumps Persönlichkeit und Weltsicht

Die Wahlkampfstrategie von Hillary Clinton bestand in erster Linie darin, ihren Gegner als charakterlich ungeeignet für das höchste Amt der USA darzustellen. Nicht zuletzt mit bisweilen rassistischen, frauenfeindlichen und Minderheiten diskriminierenden Äußerungen, mit seiner narzisstischen und impulsiven Art, die sich unter anderem darin äußerte, auf Anschuldigungen oder Provokationen mit aus der Hüfte geschossenen Tweets zu reagieren, und mit seinem offenkundigen Unwillen, sich angemessen „präsidentiell“ zu geben, lieferte ihr Trump dafür im Wochenrhythmus Vorlagen. 

Der neue Präsident scheint aus seiner Persönlichkeit eine Tugend machen zu wollen: Amerikas Außenpolitik solle unvorhersehbarer werden [8]. Schon das allein kann langjährigen Verbündeten der USA nicht gefallen. Hinzu kommt aber, dass sich trotz aller Sprunghaftigkeit drei Themenkomplexe ausmachen lassen, die sich seit mehr als 30 Jahren als rote Fäden durch Trumps politische Äußerungen ziehen – und bei denen Ärger mit den Verbündeten vorprogrammiert ist: die Forderung Trumps nach gravierenden Änderungen des amerikanischen Allianzsystems, seine Ablehnung von Freihandelsabkommen sowie seine unverhohlene Sympathie für Autokraten [9]. Diese Weltsicht ist nicht kompatibel mit dem seit Ende des Zweiten Weltkriegs geltenden überparteilichen Konsens, gemeinsam mit einer starken westlichen Allianz für eine auf liberalen Werten basierende Weltordnung einzustehen. Sowohl in seiner Persönlichkeit als auch in seiner Weltsicht unterscheidet sich Trump also radikal von allen Vorgängern [10]. 


Wahlversprechen und Äußerungen seit der Wahl

Mittlerweile hat Trump sein Programm für die ersten 100 Tage im Amt skizziert. Einige der Wahlversprechen, etwa Freihandelsabkommen aufzukündigen, finden sich darin wieder, andere, beispielsweise der Bau einer Mauer an der mexikanischen Grenze, nicht. Insbesondere durch eine Reihe von Tweets und Telefonaten bringt Trump seit der Wahl Außenpolitiker beider Parteien in Wallung. So attackierte er wiederholt öffentlich China, dem er unter anderem Währungs- und Handelsmanipulation, Aggressionen im Südchinesischen Meer und Inaktivität im Umgang mit Nordkorea vorwarf [11],  verkündete ebenfalls via Twitter, das amerikanische Nuklearwaffenarsenal weiter ausbauen zu wollen [12], und telefonierte mit der taiwanesischen Premierministerin, was mit jahrzehntelangen Gepflogenheiten brach und als schwerer Affront gegen China gewertet wurde [13]. 

Kabinett und Berater

Ob sich Trump, wie von vielen erhofft, im Amt „einfangen“ lässt und politisch und ideologisch insgesamt stärker in Richtung Mitte driften wird, hängt von einer Reihe von Faktoren ab: Wie diversifiziert sind Kabinett und die Gruppe der Beraterinnen und Berater? Wie sehr wird Trump auf diese hören? Und wie stark wird die Außenpolitik aus dem Weißen Haus heraus gesteuert werden? 

Dem Kabinett werden überproportional viele Personen ohne Erfahrung mit politischen Ämtern angehören. Dazu zählen auch die außen- und sicherheitspolitischen „Kabinettsschwergewichte“: Außenminister Rex Tillerson verbrachte seine komplette berufliche Karriere beim Ölgiganten ExxonMobil und sowohl Verteidigungsminister James Mattis als auch Heimatschutzminister John Kelly und der Nationale Sicherheitsberater Mike Flynn sind Ex-Generäle. Zwar genießen Mattis und Kelly parteiübergreifend hohes Ansehen und könnten in manchen Punkten sogar mäßigend auf Trump wirken. So verkündete Trump beispielsweise, Mattis habe ihn überzeugt, seine umstrittenen Wahlkampfaussagen zum „Waterboarding“ zu überdenken [14].  Die nun im Kabinett von Trump auffällig hohe Dichte von Ex-Generälen deutet jedoch darauf hin, dass das Militär in der Außenpolitik einen wichtigen Stellenwert einnehmen wird. 

Außerhalb des außenpolitischen Kernteams kristallisiert sich Mike Pence, der als ideologischer Hardliner gilt, bereits als starker Vizepräsident heraus, der – ähnlich wie Dick Cheney unter George W. Bush – zulasten des Außenministeriums großen Einfluss auf die Außenpolitik nehmen könnte. Darauf deutet auch eine Reihe von ersten Gesprächen Trumps mit ausländischen Regierungschefs hin, bei denen er jegliche Beratung von Diplomaten des Außenministeriums ablehnte [15]. Offensichtlich entsprang beispielsweise der Konventionsbruch, den das Telefonat mit der taiwanesischen Premierministerin darstellte, keineswegs Trumps Unerfahrenheit, sondern war mit Pence sorgfältig abgestimmt [16]. Ebenfalls für eine starke Rolle von Pence spricht, dass dieser den Übergang von der Obama- zur Trump-Regierung managte. Und da Trump kein Interesse an den täglichen Geheimdienstbriefings zur nationalen und internationalen Gefahrenlage zeigte, ließ sich Pence an seiner Stelle unterrichten [17]. Neben Pence dürften drei Berater besonders großen Einfluss auf die künftige Politik haben: der bereits erwähnte Chefstratege im Weißen Haus Stephen Bannon, der Nationale Sicherheitsberater Michael Flynn und Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, der als Senior Adviser im Weißen Haus unter anderem für nahostpolitische Themen zuständig sein soll, dem aber auch darüber hinaus ein weitreichender Einfluss auf Trump zugeschrieben wird [18]. In der Personalie Kushner zeigt sich Trumps Geringschätzung des politischen Establishments besonders deutlich, aber auch keiner der beiden anderen Top-Berater gehört zum republikanischen Mainstream. Von Bannon, der zuvor Chef der rechtskonservativen Meinungsseite Breitbart und Manager von Trumps Wahlkampf war, heißt es, er habe bereits Kontakt zu europäischen Nationalisten und Rechten aufgenommen, um diese in den kommenden Wahlkämpfen zu unterstützen [19]. Flynn gilt als exzentrisch und soll einen Hang zu Verschwörungstheorien haben [20]. 

Die Mischung aus Quereinsteigern und Hardlinern, mit der Trump sich auf dem Feld der Außenpolitik umgeben hat, lässt schon jetzt einen fundamentalen Unterschied zum außenpolitischen Stil Barack Obamas erkennen: Anders als sein Amtsvorgänger hat Trump offenbar nicht vor, sich als Außenpolitiker und Commander in Chief lange mit der Abwägung unterschiedlicher Positionen und Argumente aufzuhalten. Auch politikwissenschaftliche Forschung zeigt, dass außenpolitisch unerfahrene Präsidenten generell nicht dazu neigen, verschiedene Meinungen einzuholen, bevor sie Entscheidungen treffen [21]. Es ist daher zu erwarten, dass der Einfluss von Beratern wie Bannon und Flynn auf Trumps Politik ungefiltert und groß sein wird und dass die erfahrenen Diplomaten und Experten der Fachressorts dagegen nur schwer ankommen werden. Diese Tendenz zeigt sich aktuell schon besonders deutlich im angespannten Verhältnis zwischen Geheimdiensten und neuer Regierung. Aufgrund diverser Vorfälle rund um das „Trump-Dossier“ sowie Trumps öffentliches und lange anhaltendes Abtun der Einschätzung sämtlicher US-Geheimdienste, Russland habe die US-Wahlen zu manipulieren versucht, sitzt der Frust in der Geheimdienst-Community tief [22]. Damit ist allerdings in wichtigen Politikfeldern der Weg der Regierung noch keineswegs klar vorgezeichnet: So sympathisiert Flynn etwa – wie Trump selbst – mit Russlands Präsident Putin, Pence nimmt dagegen eine eher russlandkritische Haltung ein, und auch Tillerson ging in seiner Anhörung im Senat auf Distanz zur russischen Politik.

Innenpolitische und internationale Zwänge

Bei allen Spekulationen über Persönlichkeit und Weltsicht des Präsidenten sowie Personalentscheidungen und interne Richtungsstreitigkeiten der künftigen Administration sollten Zwänge, sowohl innenpolitischer als auch internationaler Natur, nicht vergessen werden. Diese hatten in der Vergangenheit einen bisweilen dominierenden Einfluss auf die Außenpolitik von US-Präsidenten [23]. Die seit der Wahl häufig vernommene Hoffnung, Trumps radikale Politikvorstellungen werden vom Kongress „eingefangen“, wird sich nicht notwendigerweise erfüllen, wie Dirk Peters in seinem Kapitel darlegt. Die Demokraten im Kongress sind so sehr geschwächt, dass sie kein Gegenwicht werden bilden können. Die Republikaner werden zumindest für die nächsten zwei Jahre Senat und Repräsentantenhaus kontrollieren, liegen aber in vielen Politikfeldern, etwa bei Iran-Deal oder Klimawandel, sogar noch rechts vom Präsidenten. 

Auch Entwicklungen in der Weltpolitik können die Agenda eines Präsidenten durcheinanderwirbeln. Sie haben zumindest Einfluss auf die Außenpolitik. Wird z.B. Russland auf Trumps Angebot eines Neustarts der Beziehungen eingehen? Wird Trump tatsächlich die besseren „Deals“ bekommen, die er allenthalben eingefordert hat? Werden die globalisierten Märkte seinen protektionistischen Kurs in der Handelspolitik mittragen? Und wie werden sich jetzt noch unvorhersehbare weltpolitische Ereignisse auf seine Überzeugungen und Entscheidungen auswirken? Das Beispiel seines Vorvorgängers George W. Bush kann als Warnung dienen, alle Prognosen mit Fragezeichen zu versehen. Bush wurde im Jahr 2000 mit dem Versprechen einer „demütigen Außenpolitik“ ins Amt gewählt und sollte doch als einer der konfrontativsten US-Präsidenten in die Geschichte eingehen.


Konturen der künftigen amerikanischen Außenpolitik

Aufgrund der vorgestellten Parameter treffen die Beiträge in diesem Report vorsichtige Prognosen über die künftige US-Außenpolitik und die Folgen für die internationale Politik. Dabei sind auf vier zentralen Themenfeldern Verschiebungen zu erwarten.

Großmacht- und Allianzpolitik

Die diplomatische Gangart gegenüber den Großmächten und den Bündnispartnern wird unter Präsident Trump ein zentrales Thema bleiben. Im russisch-amerikanischen Verhältnis, das unter Obama auf einem Tiefpunkt angelangt war, scheint sich tatsächlich eine stärker auf Kooperation angelegte Neuordnung anzubahnen, wie Hans-Joachim Spanger in seinem Beitrag ausführt. Auf die chinesisch-amerikanischen Beziehungen sieht Peter Kreuzer hingegen schwere Zeiten zukommen. Auch hinsichtlich des Umgangs mit den Bündnispartnern zeichnet sich eine gewisse Ambivalenz ab: In Israel stellen sich, so Aviv Melamud in ihrem Beitrag, Premierminister Netanjahu und andere außenpolitische Hardliner auf bessere Beziehungen zu den USA ein. Dagegen stehen die transatlantischen Beziehungen vor großen Herausforderungen, wie Matthias Dembinski erläutert. 

Stellenwert institutioneller Kooperationen

Ein grundlegender Wandel zeichnet sich auch mit Blick auf die Bereitschaft der künftigen US-Außenpolitik ab, sich von internationalen Institutionen, Normen und Verträgen einhegen zu lassen. Das machen etwa die Beiträge von Giorgio Franceschini zur Rüstungskontrollpolitik und Caroline Fehl zu multilateralen Institutionen deutlich. Nach den ersten Jahren der George W. Bush-Präsidentschaft wäre dies im noch jungen 21. Jahrhundert bereits die zweite unilateralistische Wende in der US-Außenpolitik. Eine Ausnahme könnte das Politikfeld Peacekeeping darstellen, für das Julian Junk weniger Wandel als Kontinuität erwartet. 

Wertebasierte Außenpolitik

Die zumindest rhetorische Verteidigung liberaler Werte wie Freihandel, Menschenrechte oder Demokratie dürfte unter Trump wesentlich schwächer ausfallen als unter dessen Vorgängern, wie die Kapitel von Christopher Daase zu Terrorismusbekämpfung, Annika Elena Poppe zur Demokratieförderpolitik und Jonas Wolff und Lisbeth Zimmermann zur Lateinamerikapolitik nahelegen.

Umgang mit Krisenherden

Die Beiträge von Marco Fey und Niklas Schörnig zum Stellenwert des Militärs für Trumps Außenpolitik und von Arvid Bell zu Afghanistan und Irak lassen vermuten, dass die hin und wieder vernommene Hoffnung, unter Trump würden militärische Abenteuer der Vergangenheit angehören, verfrüht war. Mit Blick auf die unterschiedlichen weltpolitischen Krisen und Krisenherde, die Trump von Obama „geerbt“ hat, erwarten die Autoren des Reports eine zum Teil deutliche, zum Teil aber auch nur rhetorische Distanzierung des neuen Präsidenten von seinem Vorgänger. Während in der Krise um das nordkoreanische Nuklearprogramm wenig Spielraum für ein „Weiter so“ bleibt, wie Hans-Joachim Schmidt zeigt, erwarten Daniel Müller und Irene Weipert-Fenner mit Blick auf die Konflikte in der arabischen Welt und mit Iran mehr Kontinuität als vielfach angenommen. Dass die amerikanische Afrikapolitik weder im Wahlkampf noch seit der Wahl zu einem Politikum geworden ist, bezeichnet Antonia Witt in ihrem Beitrag zwar als Glücksfall, befürchtet aber auch für dieses Politikfeld negative Konsequenzen unter Präsident Trump.

 

Wie wird sich die US-Außen- und Sicher­heits­politik unter Donald Trump gestalten? HSFK-Expertinnen und -Experten werfen im HSFK-Report „America first: Die Außen- und Sicherheits­politik der USA unter Präsident Trump“ Blicke auf Themen, die aus Sicht der Friedens- und Konfliktforschung besonders relevant sind.