[1] Vgl. Thomas Risse-Kappen 1995: Cooperation among Democracies: The European Influence on U.S. Foreign Policy, Princeton, NJ: Princeton University Press; Geir Lundestad 1997: „Empire“ by Integration. The United States and European Integration 1945–1997, Oxford: Oxford University Press.
[2] „Transcript: Donald Trump on NATO, Turkey’s Coup Attempt and the World“, 21.7.2016, www.nytimes.com/2016/07/22/us/politics/donald-trump-foreign-policy-interview.html.
[3] „Donald Trump Delivers Foreign Policy Speech“, 27.4.2016, https://cftni.org/recent-events/donald-trump-delivers-foreign-policy-speech.
[4] „Was an mir Deutsch ist?“, Interview mit Donald Trump in: Bild, 16.1.2017, S. 2–3
[5] Natascha Divac/Sarah Sloat: „Germany Braces for Trump’s Trade Policies“, 27.11.2016, www.wsj.com/articles/germany-braces-for-trumps-trade-policies-1480248006.
[6] Siehe Fn. 3
[7] Dan Bilefski: „NATO Chief ‘Absolutely Confident’ Donald Trump Will Maintain U.S. Role“, 18.11.2016, www.nytimes.com/2016/11/19/world/europe/nato-trump-us-stoltenberg.html.
[8] Michael R. Gordon/Eric Schmitt: „James Mattis, Outspoken Retired Marine, Is Trump’s Choice as Defense Secretary“, 1.12.2016, www.nytimes.com/2016/12/01/us/politics/james-mattis-secrtary-of-defense-trump.html.
[9] Siehe Fn. 2
[10] Vgl. Uri Friedman: „How Donald Trump Could Change the World“, 7.11.2016, www.theatlantic.com/international/archive/2016/11/trump-election-foreign-policy/505934
[11] Barry Posen 2014: Restraint: A New Foundation for U.S. Grand Strategy, Ithaca, NY: Cornell University Press. In Bezug auf andere Aspekte wie eine islamophobe Grundierung steht Trump allerdings eher in der Tradition Präsident Jacksons. Vgl. Walter Russel Mead: „Donald Trump’s Jacksonian Revolt“, 11.11.16, www.wsj.com/articles/donald-trumps-jacksonian-revolt-1478886196.

Transatlantische Beziehungen: Nationale Interessen statt gemeinsamer Werte?

von Matthias Dembinski

in: Caroline Fehl und Marco Fey (Hg.), "America first": Die Außen- und Sicherheits­politik der USA unter Präsident Trump, HSFK-Report Nr. 1/2017, Frankfurt/M, S. 23-25.

Ganz Europa wurde von der Wahl Donald Trumps überrascht und versucht nach wie vor zu ergründen, was dies für die zukünftige Rolle der USA bedeutet. Bereits dieses hohe Maß an Unsicherheit weist die Wahl Trumps als Zäsur aus. Das amerikanische Engagement in und für Europa war seit 1945 eine verlässliche Konstante. Ein in den Grundsätzen multilateral orientiertes Amerika wirkte als Geburtshelfer der europäischen Integration, garantierte Sicherheit in Europa, sorgte für offene Märkte und erwies sich als manchmal widerspenstiger, aber doch wichtigster Partner der EU bei der Steuerung der Globalisierung durch internationale Regeln und Organisationen. Die USA, so das Ergebnis einer langen Reihe von Studien, waren für die europäischen Verbündeten in besonderer Weise berechenbar und offen gegenüber europäischen Anliegen und Interessen [1].

Der Wahlkämpfer Trump stellte all dies infrage. So radikal wie kein Nachkriegspräsident verkürzte er das außenpolitische Interesse der USA auf den wirtschaftlichen Vorteil. So kündigte er an, das im Artikel 5 des NATO-Vertrages niedergelegte Beistandsversprechen nur dann halten zu wollen, wenn die europäischen Bündnispartner ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen [2]. In der einzigen programmatischen Rede zur Außenpolitik während des Wahlkampfs forderte Trump einen NATO-Gipfel, um die ‚veralteten Missionen und Strukturen‘ der Allianz auf die Herausforderungen „migration and Islamic terrorism“ auszurichten [3]. Kurz vor seinem Amtsantritt wiederholte er seine Kritik an den mangelnden Beiträgen der europäischen Staaten und einer "obsoleten" NATO, die sich nicht um den Terrorismus kümmere [4]. Die angesichts russischen Säbelrasselns ohnehin prekäre Rückversicherung der neuen NATO-Mitglieder steht damit noch stärker infrage. Freiem Handel will Trump nur dann sein Plazet geben, wenn er den amerikanischen Vorteil sichert. Im Wahlkampf stellte er zwar vor allem China an den Pranger, gemünzt war seine Kritik am „Diebstahl“ amerikanischer Jobs aber ebenso auf Deutschland, das zweieinhalbmal so viele Güter in die USA exportiert, wie es von dort bezieht [5]. Bereits seit April 2016 steht Deutschland deshalb auf einer Beobachtungsliste des US-Finanzministeriums. Die damit verbundene Drohung mit einer Untersuchung über mögliche Währungsmanipulationen wird mit Trump konkreter. Schließlich beurteilte er auch bindende multilaterale Institutionen äußerst kritisch. So stellte Trump in Aussicht, das Niveau der Globalisierung zurückzuschrauben. Stattdessen betonte er die Bedeutung des Nationalstaats und versprach, niemals einen Vertrag abzuschließen, der die amerikanische Kontrolle über die eigenen Angelegenheiten einschränken könnte [6].

All das ist starker Tobak und liefe, würde der Präsident seine Ankündigungen umsetzen, auf das Ende der uns bekannten europäischen Nachkriegsordnung hinaus. Ein erstes Opfer gibt es bereits. Das seit Langem geplante transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP), das ohnehin diesseits und jenseits des Atlantiks in der Kritik globalisierungskritischer Gruppen steht, ist nicht mehr zu retten. Aber wird der Präsident auch darüber hinaus das umsetzen, was der Wahlkämpfer angekündigt hat? Die Hoffnung auf Mäßigung stützt sich auf Berichte über erste Gespräche europäischer Politiker mit Trump, auf die Annahme, der neue Präsident habe gar keine europapolitische Agenda und sei folglich Beratung gegenüber offen, auf fundamentale amerikanische Interessen sowie auf das System der checks and balances.

So berichtete etwa NATO-Generalsekretär Stoltenberg, Trump habe ihm versichert, die USA würden zu ihren NATO-Verpflichtungen stehen [7]. Der Wert derartiger Zusagen ist allerdings kaum einzuschätzen. In seiner Regierung stehen Vizepräsident Pence und Verteidigungsminister Mattis für die Kontinuität der amerikanischen sicherheitspolitischen Rolle in Europa. Mattis genießt die Unterstützung beider Parteien, hat sich kritisch zur Politik Russlands gegenüber der Ukraine geäußert und scheint den Sorgen etwa der baltischen Staaten gegenüber aufgeschlossener zu sein [8]. Auch wenn sich der designierte Außenminister Tillerson in den Nominierungsanhörungen vor dem Senat kritisch zu Russlands Politik in der Ukraine äußerte, gelten er und Sicherheitsberater Flynn eher als Freunde Putins. Insgesamt hält Trump auch in Bezug auf seine für Europa wichtigen Personalentscheidungen an der im Wahlkampf verkündeten Linie fest, er werde Leute mit frischen Anschauungen berufen und nicht Experten, die „gescheiterte“ Vorgänger-Regierungen beraten haben [9]. Die Erwartung, das gestandene republikanische Personal werde wieder an die Schaltstellen der Macht einrücken und den neuen Präsidenten ‚einnorden‘, ist also auf Sand gebaut. Trump wird seinen Überzeugungen folgen, und dazu gehört eine fundamentale Skepsis gegenüber einer werteorientierten Außenpolitik, gegenüber Multilateralismus und besonders gegenüber bindenden militärischen Bündnissen [10]. Interessen hängen auch von Weltbildern ab. Und wenn eine der in den USA diskutierten „grand strategies“ mit Elementen von Trumps Denken korrespondiert, so sind es die Vorschläge für eine Strategie des Rückzugs aus Europa [11]. Bleiben also die institutionellen Leitplanken. Im Kongress dominieren überzeugte Transatlantiker, die eine Demontage der NATO nicht ohne weiteres hinnehmen werden. Aber wieweit die republikanische Mehrheit in beiden Kammern dem Präsidenten die Hände binden will und kann, bleibt abzuwarten. Zudem sind die Spielräume der Exekutive gerade in der Außenpolitik erheblich und Trump könnte auch gegen den Willen des Kongresses das europäische Vertrauen in die amerikanischen Sicherheitsgarantien zerrütten (s. Beitrag von Dirk Peters in diesem Report).

Europa wird sich darauf einstellen müssen, relativ früh mit Entscheidungen Trumps konfrontiert zu werden, die zentrale europäische Interessen berühren, sei es bezüglich des Nuklearabkommens mit dem Iran oder der Sanktionen gegenüber Russland. Wenn Trump die strikt nationalen und auf den ökonomischen Vorteil verengten Interessen zur Leitschnur amerikanischer Außenpolitik macht, müssten auch die europäischen Staaten und die EU sehr viel konturierter als in der Vergangenheit ihre Interessen definieren und mit einer Stimme sprechen. Dafür aber ist die Europäische Union derzeit in einer denkbar schlechten Verfassung. Ein Symptom für die innereuropäischen Differenzen ist die Reaktion ihrer Mitglieder auf die Wahl Trumps. Begrüßt wurde sein Wahlsieg etwa vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Auch Großbritannien und Polen suchen weiterhin nach einer Rolle an der Seite der USA. Zwar überwiegt in vielen anderen Mitgliedstaaten die Skepsis gegenüber Trump, doch auch hier nagen dieselben Kräfte, die Donald Trump ins Weiße Haus brachten, bereits an den Grundfesten der bisherigen europäischen Politik. Vielleicht liegt darin die größte Herausforderung der amerikanischen Wahlentscheidung für Europa.

Wie wird sich die US-Außen- und Sicher­heits­politik unter Donald Trump gestalten? HSFK-Expertinnen und -Experten werfen im HSFK-Report „America first: Die Außen- und Sicherheits­politik der USA unter Präsident Trump“ Blicke auf Themen, die aus Sicht der Friedens- und Konfliktforschung besonders relevant sind.