Ernst-Otto-Czempiel-Preis 2023 für Roger Mac Ginty

Jury ehrt Forschung zu friedensschaffender Wirkung von alltäglichen Handlungen im Krieg

Das Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konflikt­forschung (HSFK/PRIF) verleiht den dies­jährigen Ernst-Otto-Czempiel-Preis an den Politikwissenschaftler Roger Mac Ginty. Die Jury würdigt damit seine Monographie „Everyday Peace: How So-Called Ordinary People Can Disrupt Violent Conflict“ von 2021. Mac Ginty untersucht, wie sich Menschen in Konflikt­gebieten in alltäglichen Handlungen totalisierenden Kriegs­logiken widersetzen und diese unterbrechen können.

PRIF vergibt den Ernst-Otto-Czempiel-Preis für die beste Monographie im Bereich der inter­nationalen Friedens­forschung der vorherigen beiden Jahre. Der Preis wird seit 2008 verliehen und ist mit 5.000 Euro dotiert. Er ist nach Ernst-Otto Czempiel benannt, einem der Gründer des Instituts und international renommierten Friedens­forscher.

Die Jury begründet die Aus­zeichnung des Buches von Roger Mac Ginty damit, dass der Autor ein zentrales friedenspolitisches Problem in den Blick nimmt und dafür einen außer­ordentlich innovativen Ansatz wählt: Da Kriegshandlungen vor Ort häufig nicht durch Waffenstillstandsvereinbarungen, Friedensverhandlungen und -abkommen auf offizieller Ebene beendet werden, richtet Mac Ginty den Fokus auf die Ebene alltäglicher Handlungen von Menschen, die im Kontext von Gewaltkonflikten leben. Er untersucht, wie sich Menschen in Konfliktgebieten in alltäglichen Handlungen sogar im Kampfgeschehen den sich totalisierenden Kriegs­logiken widersetzen und diese stören können.

Die Jury, der Dr. Jörn Grävingholt, Prof. Dr. Eva Senghaas-Knobloch und Prof. Dr. Jonas Wolff angehören, hebt in ihrer Begründung zudem das außer­ordentlich breite und trans­disziplinär orientierte Methoden­repertoire des Autors hervor. Sie weist auch darauf hin, dass der Forscher durch­gängig gender­spezifische Aspekte in den Blick nimmt, die sowohl im Kriegsgeschehen als auch für das Gelingen des alltäglichen Friedenshandelns relevant sind. Ein weiterer Akzent des Buches liegt, wie die Jury würdigt, auf der Bedeutung alltäglicher Friedens­bemühungen in Nach­barschaften und Familien­strukturen, durch die beispiels­weise Jugendliche von bewaffneten Gruppen fern­gehalten oder wieder in einen zivilen Alltag integriert werden.

Jurymitglied und Friedens­forscherin Eva Senghaas-Knobloch führt aus: „Anhand alltäglicher Praktiken verdeutlicht der Autor systematisch, dass ‚Everyday Peace‘ auf Basis ziviler Umgangs­formen eine untere Ebene und somit eine Grundlage für Frieden bildet, da das Alltags­leben ‚schaltkreisförmig‘ in Verbindung mit anderen Ebenen der Gesellschaft und Politik steht. Soziale Kompe­tenzen im Alltag können der Eskalation und Kriegs­gewalt entgegen­wirken und gelten Mac Ginty als ebenso wesentlich wie alle weiteren Dimen­sionen des Friedens.“

Da Roger Mac Gintys Publikation historisch und geographisch weit über die Gewaltkonflikte in sogenannten „fragilen Staaten“ hinausgreift, die im Fokus der Forschung der vergangenen drei Jahr­zehnte standen, verspricht sie nicht zuletzt Erkenntnisse, die auch 2023 angesichts des russisch-ukrainischen Krieges von Bedeutung sein können.

Der Ernst-Otto-Czempiel-Preis 2023 wird im Rahmen der PRIF-Jahrestagung am 12. Oktober 2023 in Frankfurt verliehen.