Untersuchungen des Anthropozäns decken die komplexen und dynamischen Wechselwirkungen zwischen der gesellschaftlichen Welt und dem Erdsystem immer weiter auf. Bei einer internationalen Konferenz am 8. und 9. November haben sich jetzt Forschende aus Natur-, Ingenieur-, Sozial- und Geisteswissenschaften gemeinsam der Frage gestellt, wie diese zunehmenden Wirkungen besser verstanden und in Richtung einer globalen Nachhaltigkeit entwickelt werden können.
Welche Auswirkungen hat das Handeln der Menschen auf das Erdsystem? Welche Folgen sind mit diesen Auswirkungen für die Gesellschaft verbunden? Und welche Betroffenheit und Handlungsoptionen für die Politik und jeden Einzelnen ergeben sich daraus? Eine Annäherung an diese Fragen war Gegenstand der ersten Konferenz zum Thema „Integrierte Erdsystemforschung“, die vom gleichnamigen Leibniz-Forschungsnetzwerk im Wissenschaftspark „Albert Einstein“ in Potsdam ausgerichtet wurde.
Der interdisziplinäre Dialog führte zu weitreichenden Schlussfolgerungen: Generell ist die Wissenschaft mit ihrer begründeten Organisation nach Disziplinen auf die Untersuchung solch großer Fragen nicht ausgelegt. Nicht nur zwischen den Natur- und Ingenieurwissenschaften einerseits und den Sozial- und Geisteswissenschaften andererseits gibt es hierfür bisher noch wenige vertiefende Bezüge. Gemeinsame Rahmenkonzepte, die beispielsweise Simulationsmodelle für das Erdsystem in den Kontext der qualitativen Forschung über gesellschaftliche Entscheidungen und Verhalten stellen, fehlen. Dem dringenden Beratungsbedarf von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft bezüglich alternativer Entwicklungspfaden und deren Folgen kann insofern zurzeit nur eingeschränkt entsprochen werden.
Die Konferenz hat deshalb grundsätzliche Ansatzpunkte für die zukünftige Forschung abgeleitet. Wichtig sind demnach interdisziplinäre Terminologien und Konzepte für integrierte Analysen von natürlichen und gesellschaftlichen Systemen über etliche räumliche Ebenen und Zeithorizonte hinweg. Zudem sollten weitere Grundlagen für die Ableitung von Zielen wie planetare Grenzen und planetare Gerechtigkeit erarbeitet werden. Für das gesellschaftliche Handeln gilt es schließlich, Kapazitäten und Hebel für gesellschaftliche Transformationen zu identifizieren. Thematisch konkrete Bedarfe für eine Integrierte Erdsystemforschung wurden für den Ozean, den Wasserkreislauf und die Binnengewässer, die Biodiversität, die Bioökonomie, Stadt-Land-Beziehungen, Konflikte, Krisen und Sicherheit sowie Daten und Instrumente diskutiert.
Stefan Kroll von der HSFK war Mitorganisator und Moderator des transdisziplinären Panels „Earth System Change and Conflict: Politics of Scale and the Governance of the Earth System“, das verschiedene Perspektiven aus den Bereichen Archäologie, Anthropologie, Wirtschaft, Internationale Beziehungen sowie Friedens- und Konfliktforschung zusammenbrachte. Hier lieferte HSFK-Forscher Patrick Flamm einen Beitrag darüber, wie „Sicherheit“ im Kontext von Erdsystem-Skalenveränderungsprozessen neu konzeptualisiert werden kann, mit einer Hinwendung zur Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen. Die Podiumsdiskussion verdeutlichte die Bedeutung der Perspektive der planetarischen Gerechtigkeit sowie der Vielfalt der Mensch-Natur-Kulturen und der Wissens- und Wertesysteme.
Mit Blick auf die parallel stattfindende COP27 wurde deutlich, dass vergleichbare Verhandlungsprozesse dringend auch für das Erdsystem insgesamt anzustreben sind. Das Klima und damit auch Klimaschutz und -anpassung stehen in engem Zusammenhang mit anderen Komponenten des Erdsystems wie beispielsweise der biologischen Vielfalt. Die zunehmende öffentliche Aufmerksamkeit und wachsende Anstrengungen in Bezug auf den Klimawandel belegen, dass international koordinierte und lokal umgesetzte Aktivitäten zur Erhaltung des Erdsystems prinzipiell möglich sind.
Weitere Informationen zur Konferenz sind auf der Website des Forschungsnetzwerks zu finden.