Konflikte um sozioökonomische Reformen in Ägypten und Tunesien

Irene Weipert-Fenner gibt Themed Section in der Zeitschrift Mediterranean Politics heraus

Viele Menschen demonstrieren auf der Straße mit Tunesien-Flaggen und Schildern

Anti-Coup Protest, Tunis, 10. Oktober 2021 (Foto: Dodos photography, CC BY-SA 4.0)

Die For­schung zum A­ra­bi­schen Früh­ling hat sich viel­fach mit den so­zi­o­ö­ko­no­mi­schen Ur­sach­en be­schäf­tigt, die zu den Pro­tes­ten, Auf­stän­den und Re­vo­lu­tion­en ge­führt ha­ben. Mit Blick auf die Zeit nach dem Sturz der Dik­ta­tor­en wur­de vor al­lem die po­li­ti­sche Trans­for­ma­tion er­forscht. Und ob­wohl Miss­stän­de wie ho­he Ar­beits­los­ig­keit und stei­gen­de Prei­se fort­be­stan­den und auch Pro­tes­te im­mer wie­der auf­tra­ten, wuss­ten wir bis­her we­nig ü­ber die po­li­ti­sche Ö­ko­no­mie in Pha­sen po­li­ti­scher Trans­for­ma­tion. Um die­se Lüc­ke zu schlie­ßen, wur­den im Pro­jekt „Streit um sozioökonomische Reformen: Politische Konflikte und gesellschaftliche Proteste in Ägypten und Tunesien nach 2011 im interregionalen Vergleich“ de­tail­lier­te Fall­stu­di­en zu Ägyp­ten und Tu­ne­si­en durch­ge­führt. Ei­ne Themed Section in der Zeit­schrift Mediterranean Politics, her­aus­ge­ge­ben von Pro­jekt­lei­ter­in Dr. Irene Weipert-Fenner, fasst nun die Er­geb­nis­se des Pro­jekts zu­sam­men.

Für bei­de Län­der, die ähn­lich­e polit-öko­no­mi­sche Ver­hält­nis­se, a­ber bis 2021 sehr un­ter­schied­liche po­li­ti­sche Ent­wick­lung­en auf­wie­sen, ga­ben Fall­stu­di­en zu Fis­kal­po­li­tik, Ar­beits­recht und De­zen­tral­i­sier­ung wich­ti­ge Ein­blicke in die Kon­so­li­dier­ung von De­mo­kra­tie (Tu­ne­si­en) und Au­to­kra­tie (Ägyp­ten). Spe­ziell die Un­ter­such­ung von Kon­flik­ten rund um so­zi­o­ö­ko­no­mi­sche Re­for­men half da­bei, die re­le­van­ten Ak­teu­re wie Wirt­schafts­e­li­ten und Ge­werk­schaft­en und ih­re re­la­ti­ve Macht im Ver­hält­nis zur po­li­ti­schen E­li­te zu ei­nem be­stimm­ten Zeit­punkt zu i­den­ti­fi­zier­en. Die A­na­ly­se zeig­te auch, wie for­mel­le und in­for­mel­le In­sti­tu­tion­en ge­nutzt wur­den und ob der neu­e in­sti­tu­tion­el­le Rah­men ein ef­fek­ti­ves Kon­flikt­ma­nage­ment er­mög­lich­te.

Ge­ra­de für die Fra­ge, wie es zur ak­tu­el­len Re-Au­to­kra­ti­sier­ung Tu­ne­si­ens kom­men konn­te, sind die Er­geb­nis­se von gro­ßer Be­deu­tung. A­ber auch für Ägyp­ten sind die Be­funde wich­tig, die ent­ge­gen der Mythe von Auto­kratien als ef­fi­zien­te, da durch­setz­ungs­star­ke Re­gime­typen statt­des­sen zei­gen, dass auch ex­trem re­pres­si­ve Re­gime In­ter­es­sen wich­ti­ger Un­ter­stützer­grup­pen sichern müs­sen und hier di­ver­gie­ren­de In­ter­es­sen zu Kon­flik­ten führen und die Reform­kapa­zität stark ein­schrän­ken kön­nen. Ge­nerell zeigt sich also ein ge­misch­tes Bild, was die Kapa­zitäten zur Um­setz­ung von Re­formen an­geht, das nicht allein durch den Regime­typ oder die Leistungs­fähig­keit des Staates er­klärt wer­den kann. Statt­des­sen liegt die Er­klär­ungs­kraft in einem dy­nam­ischen, re­la­tion­alen, han­dlungs­orient­ier­ten An­satz zur Anal­yse staat­licher und gesell­schaft­licher Akteure in themen­spe­zi­fi­schen so­zi­o­ö­ko­no­mi­schen Re­form­konflikten.

Das Pro­jekt wur­de in Zu­sam­men­arbeit mit Dr. Amr El Shobaki und Dr. Nadine Abdalla vom Arab Forum for Alternatives in Ägyp­ten so­wie mit Dr. Bassem Karray, Dr. Hamza Meddeb und Rabeb Laabidi von der Uni­ver­si­tät Sfax in Tu­ne­si­en durch­ge­führt. Die Volkswagen­Stiftung hat das Pro­jekt für vier Jahre ge­för­dert.

Die Bei­trä­ge der Themed Section sind on­line first er­schien­en und stehen auf der Web­site von Taylor & Francis Online zur Ver­fü­gung. Zur Einführung von Irene Weipert-Fenner