Buchempfehlung: Das autokratische Parlament

Irene Weipert-Fenner untersucht die ägyptische Geschichte bis hin zur Revolution 2011 aus parlamentarischer Perspektive

The Egyptian People's Assembly in full session, 1977 (Photo: Rachad el Koussy, Wikimedia Commons)

The Egyptian People's Assembly in full session, 1977 (Photo: Rachad el Koussy, Wikimedia Commons)

Im Jahr 2010 kam es als Reaktion auf die allgemein als manipuliert angesehenen ägyptischen Parlaments­wahlen zu Protesten. Es stellte sich die Frage: Warum jetzt? Die Wähler hatten in der Vergangenheit noch nie freie und faire Wahlen erlebt, warum also hatten ausgerechnet diese einen solchen Aufschrei hervorgerufen? Und warum erregte die Zusammen­setzung des Parlaments die Gemüter,  das in einer Autokratie angeblich kaum eine Rolle spielt? Um diese Fragen zu beantworten, untersucht Irene Weipert-Fenner die Geschichte des modernen Ägyptens bis hin zur Revolution 2011 zum ersten Mal aus parlamenta­rischer Perspektive. Entgegen der vorherrschenden Meinung, dass auto­kratische Parlamente bedeutungslos seien, zeigt Weipert-Fenner, dass das Parlament ein Indikator, Katalysator und ein Auslöser von Wandel in einem autoritären System sein kann.

Irene Weipert-Fenner vergleicht die parlamenta­rische Entwicklung  seit der Einführung der ersten National­versammlung 1866 und zeigt auf, dass autokratische Parlamente innerhalb eines bestehenden politischen Systems an Einfluss gewinnen können. Im Parlament kann es zu ernsten Konflikten kommen, wenn Normen, welche die politischen Entscheidungen, politische Akteure und Institutionen betreffen, entweder besonders drastisch oder außergewöhnlich schnell verletzt werden. Am wichtigsten ist, dass sich ein Parlament sogar gegen die Exekutive wenden kann, wenn parlamenta­rische Rechte entzogen oder weit verbreitete Normen missachtet werden. Diese und andere wiederkehrende Muster institutioneller Beziehungen, die in The Autocratic Parliament identifiziert werden, tragen dazu bei, lange Zeitspannen stabiler, aber nie stagnierender autoritärer Herrschaft sowohl in kolonialer als auch postkolonialer Zeit, in Monarchien und Republiken sowie Ein- oder Mehrparteien­systemen besser zu verstehen. Ebenso helfen sie die verschiedenen Arten von Regime­wechseln zu erklären, die Ägypten erlebt hat: solche durch externe Intervention, Militär­putsche oder Revolution.

 

Bibliographische Angabe:

Weipert-Fenner, Irene (2020): The Autocratic Parliament. Power and Legitimacy in Egypt, 1866-2011, Syracuse: Syracuse University Press.