Rede zur Lage der Nation: Obama beschwört die nationale Einheit

Eine Einschätzung von HSFK-Wissenschaftlerin Annika E. Poppe

Am Dienstagabend um kurz nach neun Uhr (Ortszeit) hielt U.S. Präsident Barack Obama seine mit Spannung erwartete Rede zur Lage der Nation. Die jährlich im Januar stattfindende Ansprache stand in diesem Jahr unter dem Zeichen der starken parteipolitischen Polarisierung und der tiefen Verunsicherung der amerikanischen Bevölkerung, vor allem über den wirtschaftlichen Zustand der Nation.

 

Demokrat Obama, der sich seit Anfang dieses Jahres mit einem mehrheitlich republikanischen Repräsentantenhaus konfrontiert sieht, beschwor denn auch die nationale Einheit und betonte geteilte Werte, die alle Differenzen überdauerten und Amerika seine Einzigartigkeit und Größe verliehen. Auch die Zuhörerschaft im Kongress setzte ein versöhnliches Zeichen: Erstmals in der Geschichte hatten die demokratischen und republikanischen Abgeordneten die nach parteipolitischer Zuordnung strikt getrennte Sitzverteilung im Saal ganz im Zeichen einer verstärkten Zusammenarbeit aufgebrochen.

 

Wie erwartet standen die Innen- und besonders die Wirtschaftspolitik im Mittelpunkt der Rede. Obama verwies auf die langsam wieder Fahrt aufnehmende Wirtschaft und machte der amerikanischen Bevölkerung wiederholt Mut. Die derzeitige Generation erlebe zurzeit ihren „Sputnik-Moment“. Ähnlich wie in den 1950er Jahren seien die USA vorübergehend ins Hintertreffen geraten und müssten nun wieder verstärkt in Bildung, Forschung und Infrastruktur investieren, um auf diese Weise Arbeitsplätze zu schaffen, Wachstum zu generieren und wettbewerbsfähig zu bleiben. Als „Mann der Mitte“ präsentierte sich Obama in der derzeit heftig diskutierten Frage der Staatsverschuldung. Während, wie von den Republikanern vehement gefordert, alle Ausgaben auf mögliches Einsparungspotenzial geprüft werden müssten und bittere Einschnitte bevorstünden, dürften Kürzungen nicht den wirtschaftlichen Aufschwung gefährden. Obamas Außenpolitik fand nur am Rande Erwähnung.

 

Die Rede zur Lage der Nation entsprach weitgehend den Erwartungen der letzten Tage. In optimistischem und versöhnlichem – teilweise sogar humorvollem – Ton stimmte er die Nation auf kommende, nur gemeinsam zu meisternde Herausforderungen ein und versprach, konstruktiv mit politischen Partnern und Gegnern zusammenzuarbeiten. Es ist allerdings sehr wahrscheinlich, dass jenseits des feierlichen Akts dieser Rede die Konflikte zwischen Demokraten und Republikanern weiter schwelen, womöglich zunehmen. Obama ist immerhin zurzeit in einer gestärkten politischen Position; die Verabschiedung wichtiger Gesetzesvorhaben Ende des vergangenen Jahres, seine bewegenden und einenden Worte zum Attentat von Tucson vor zwei Wochen sowie die zaghaft anziehende Wirtschaft haben die öffentliche Zustimmung zu seiner Amtsführung steigen lassen.

 

Annika Elena Poppe ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Programmbereich „Herrschaft und gesellschaftlicher Frieden“. Ihre Schwerpunkte sind U.S. amerikanische Außenpolitik und Geschichte.

 

Aktuelle Veröffentlichung: Whither to, Obama? U.S. Democracy Promotion after the Cold War, PRIF Report No. 96, Frankfurt/M. 2010