"Vom Auswärtigen Amt zum Ordnungsamt?"

Gastbeitrag von Harald Müller in der Frankfurter Rundschau über die Reform des Außenministeriums

Der Gastbeitrag erschien in der Frankfurter Rundschau am 3. März 2015

 

"Die Überprüfung der deutschen Außenpolitik endet damit, dass zwei erstklassige Abteilungen des Außenministeriums, Vereinte Nationen (VN) und Abrüstung, letztere ein wirkliches Flaggschiff deutscher Außenpolitik, als Unterabteilungen zu einer neuen Abteilung für internationale Ordnungsfragen verschmelzen. Diese soll ein Ort werden, „an dem unser allerwichtigstes Prinzip für internationale Ordnung umfassend Anwendung findet: der Multilateralismus“; verkündet Minister Frank-Walter Steinmeier. „Labor des Multilateralismus, Abteilung für komplexe Antworten, Abteilung für Friedensordnung“ – das klingt luftig. Wie soll das gehen? Sollen die verschmolzenen Diplomaten in der Mittagspause ihre Multilateralismus-Erfahrungen austauschen und in ein Großkonzept umsetzen? Denn in der Arbeitszeit haben sie genug zu tun, wenn VN- und Abrüstungspolitik weiter effektiv gestaltet werden sollen.

 

Wozu braucht man ein „Labor“ für Multilateralismus? Multilateralismus ist keine Aufgabe einer Stabsabteilung, sondern soll den ganzen Apparat durchdringen – aber das ist längst geschafft. Multilateralismus als Basis einer regelgestützten Friedensordnung ist längst ins Fleisch und Blut unserer Diplomaten übergegangen. Man sucht nicht abstrakt nach „komplexen Antworten“: Alle operativen Abteilungen betreiben Multilateralismus, und selbst in Stabsabteilungen wie Recht oder Kommunikation gehört er zum täglichen Brot. Die Attachés lernen ihn in der Ausbildung, und in kaum einer späteren Verwendung haben sie nichts damit zu tun. Unsere Diplomaten „können Multilateralismus“. Das Problem beginnt eher, wenn die Instrumente des Multilateralismus aufgrund unwilliger Gegenspieler nicht greifen. Die neue Abteilung ändert daran nichts.

 

Die Abstufung zur Unterabteilung signalisiert Bedeutungsverlust. Die künftige Abteilungsleiterin trägt zwar den Titel Abrüstungsbeauftragte, aber sie muss ihre Aufmerksamkeit und ihren Einsatz zwischen zwei komplexen Sachbereichen teilen, die bislang genug Arbeit für eine eigene Abteilungsleitung produzierten. Wenn sie noch den Wunsch nach „Multilateralismus-Laborergebnissen“, „komplexen Antworten“ und anderen abstrakten Flausen bedienen soll, sinkt der mögliche Aufwand für die Abrüstung auf ein Drittel. Die Abteilungsleitung hat in der Direktorenrunde des Amts den personellen und finanziellen Bedarf der Abteilung zu vertreten und um die Aufmerksamkeit der Leitung zu konkurrieren. Sie muss mit der Zentralabteilung die Auswahl geeigneten Personals für freiwerdende Stellen regeln und wichtige Themen auf die Agenda der Hausspitze bringen. Zudem muss sie in multilateralen Zusammenhängen und in Krisen (zum Beispiel im Streit über das iranische Nuklearprogramm) verhandeln.

 

Das Themenspektrum reicht vom Weltraum bis Nuklearwaffen, von Kleinwaffenkontrolle bis zur Abrüstung syrischer Chemiewaffen. Es verbindet technische, rechtliche und politische Elemente. Die Aufgaben wachsen. Ein nuklearer Rüstungswettlauf zwischen China, Russland, den USA und Indien bahnt sich an. Der Vertrag über Mittelstreckenwaffen ist in Gefahr. Das Nichtverbreitungsregime kriselt. In Europa ist ein neuer Anlauf in der konventionellen Rüstungskontrolle und der Vertrauensbildung nötig, wenn die akute Ukraine-Krise überwunden sein wird. Mit hybrider Kriegführung, Biosicherheit, Drohnen und Cyberwar sind vier neue Themen auf der Agenda. Die Nanotechnologie stellt eine ganz neue Herausforderung dar. Das ist nichts für Amateure. Auf der Seite der VN-Abteilung ließe sich ein ähnliches Tableau beschreiben. Die Abteilungsleiterin des Ganzen kann daher nicht mehr als eine halbe Abrüstungsbeauftragte sein, wo eine ganze gebraucht wird. Abrüstung wird in der deutschen Außenpolitik an Gewicht verlieren.

 

Im Ausland wird man diesen Abstieg registrieren. Deutschland hatte in der Abrüstung Verantwortung übernommen, lange bevor sie Modewort wurde. In den Jahren der Bush-Administration standen die Abrüstungsbeauftragten Walter Jürgen Schmid und Friedrich Gröning wie Felsen in der Brandung eines von den US-Neokonservativen gestarteten abrüstungsfeindlichen Tsunami. Eine solche Rolle werden wir nicht mehr spielen können, zum Verdruss abrüstungsfreudiger Partner in Europa und der blockfreien Welt, zur Freude der Großmächte, denen das deutsche Engagement oft unbequem war.

 

Warum tut man so etwas, das so schlecht begründet, mit so nachteiligen Folgen versehen und so wider die eigene Tradition gerichtet erscheint? Ich fürchte eine triviale Antwort: Man braucht eine Stelle der Besoldungsgruppe B9 für die Leitung der neuen Abteilung Krisenbearbeitung. Bei gleichbleibendem Haushalt erspart die Zusammenlegung von VN und Abrüstung die benötigte Stelle. Die neue Abteilung mag ja sinnvoll sein, aber die Leitungsstelle sollte auf andere Weise beschafft werden – nicht zu Lasten von Abrüstung und Vereinten Nationen.

 

In den USA liquidierte der ultrarechte Vorsitzende des Auswärtigen Senatsausschusses, Jesse Helms, 1996 mit Hilfe seiner neokonservativen Bataillone das Abrüstungsamt ACDA. In Deutschland geschieht Ähnliches nun unter einem sozialdemokratischen Außenminister; was würde Willy Brandt wohl dazu sagen?

 

Ich arbeite mit dem Auswärtigen Amt seit 30 Jahren in kritischer Sympathie fruchtbar zusammen. Minister Steinmeier ist ein tüchtiger Mann und von fähigen Leuten umgeben. Umso tiefer ist der Schock über diese missglückte Reform."

 

Harald Müller ist Leiter des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) und Professor für Internationale Beziehungen an der Goethe-Universität Frankfurt.