Zusammenhänge und Brüche zwischen Gerechtigkeit, Frieden und Governance

Auf dem internationalen Festsymposium „Just Peace Governance“ zu Ehren Harald Müllers gab es zahlreiche Ausblicke auf das künftige Forschungsprogramm der HSFK

Namhafte, internationale Fachleute hatte die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) zu ihrem Symposium „Just Peace Governance“ nach Frankfurt am Main geladen, für das es gleich zwei Anlässe gab: Das Forschungsinstitut wird in diesem Jahr ein neues Forschungsprogramm unter dem selben Namen aufnehmen und sein Leiter Harald Müller ist vor wenigen Wochen 60 Jahre alt geworden. Beides waren triftige Gründe für über 80 Gäste, den 19. und 20. Juni in der HSFK zu verbringen. Unter den renommierten Forschern waren Ernst-Otto Czempiel (erster Leiter der HSFK, Emeritus der Universität Frankfurt), Dieter Senghaas (Emeritus der Universität Bremen), Thomas Risse und Tanja Börzel (beide FU Berlin), Michael Zürn (WZB/Hertie School of Governance Berlin), Tanja Brühl, Nicole Deitelhoff und Rainer Forst (alle drei Universität Frankfurt), Hauke Brunkhorst (Universität Flensburg), Nina Tannenwald (Brown University) und Richard Price (University of British Columbia).

Harald Müller leitet die HSFK seit 1996 und ist seit 1999 Professor für Internationale Beziehungen an der Goethe-Universität Frankfurt. Bereits seit 1984 ist Müller außerdem Gastprofessor an der amerikanischen Eliteuniversität Johns Hopkins University in Bologna. Unter seiner Führung wurde die HSFK Anfang 2009 Mitglied der renommierten Leibniz-Gemeinschaft. Am Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ der Frankfurter Universität wirkt Müller als „Principal Investigator“ und Direktoriumsmitglied ebenfalls mit. Im Mittelpunkt seiner Forschung steht Weltordnungspolitik, vor allem als Rüstungskontrollexperte hat er sich international einen Namen gemacht. Von 1999 bis 2005 war er Mitglied des Abrüstungsausschusses, das den UN-Generalsekretär berät, 2004 saß er diesem Gremien auch vor. Wie kaum ein anderer verbindet Müller international anerkannte Grundlagenforschung mit Politikberatung, durch die seine Forschungsergebnisse, Eingang in die Praxis finden.

Das Symposium sowie das zukünftige HSFK-Forschungsprogramm beleuchten die Zusammenhänge und Brüche zwischen „Gerechtigkeit“, „Frieden“ und „Regieren/Governance“. Zu dieser Begriffskombination erläuterte Müller: „Sie suggeriert zunächst, dass gute Dinge automatisch miteinander einhergehen. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass unterschiedliche Vorstellungen von Gerechtigkeit, Moral und anderen Normen durchaus auch Zündstoff für Konflikte bieten, ja sogar Kriege verursachen“. Wann sie Konflikte verursachen oder verschärfen und wann der Anspruch auf Gerechtigkeit friedensfördernd sein kann, wird anhand vieler Themen, Politikfelder und Weltregionen zu untersuchen sein. Geplant sind im Rahmen des neuen Forschungsprogramms unter anderem Projekte zu Gerechtigkeitsvorstellungen in Abrüstung und Rüstungskontrolle, die Rolle von Kultur und Religion in Konflikten, das Verhältnis von Gerechtigkeit zum Recht, beispielsweise zum Völkerrecht oder zu Menschenrechten. Die Referenten des Symposiums stellten diese ersten Entwürfe auf den Prüfstand und externe Experten gaben Anregungen aus ihrer eigenen Forschung, darunter aus dem Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ der Frankfurter Universität und aus dem Sonderforschungsbereich „Regieren in Räumen begrenzter Staatlichkeit“ der FU Berlin.

Bereits auf dem Symposium trat zutage, dass es viele, teils sehr unterschiedliche Gerechtigkeitsvorstellungen gibt, die durch eine Vielzahl weiterer Begriffe begründet und angereichert werden. So fielen Begriffe wie „Fairness“, „Teilhabe“, „Moral“ oder „Ownership“. Verschiedene Governance-Konzepte wurden ebenfalls tiefgehend diskutiert – vom Regieren von Nationalstaaten, supranationalem Regieren oder sogar von „Regierungen, die nicht regieren“ war die Rede. Auch in der Wissenschaft wurde die Diskussion besonders lebhaft, als die Rolle von Religionen in Konflikten behandelt wurde. Es stand zur Debatte, ob Religionen Konflikte tatsächlich verursachen oder nur verschärfen, ob sie lediglich eine kleine Rolle darin spielen oder ob Religionen im Gegenteil sogar sehr friedensfördernd wirken durch die Werte, die sie etwa in Geboten vermitteln.

Einigkeit bestand aber zumindest darin, dass alle Seiten des „magischen Dreiecks“ aus Gerechtigkeit, Frieden und Regieren weiterhin wissenschaftlicher Untersuchungen bedürfen und dass der Gerechtigkeitsaspekt in den Internationalen Beziehungen bislang zu stark vernachlässigt wurde. Im abschließenden Roundtable unterstrich Walter Jürgen Schmid, deutscher Botschafter in Moskau, „Gerechtigkeitsfragen sind im internationalen Bereich auf keinen Fall zu unterschätzen“.

Das Symposium wurde von der Deutschen Stiftung Friedensforschung sowie von den Freunden und Förderern der Goethe-Universität Frankfurt finanziert. Organisiert haben die Veranstaltung sechs aktuelle und ehemalige Doktoranden Müllers, Una Becker, Claudia Baumgart-Ochse, Nicole Deitelhoff, Niklas Schörnig, Simone Wisotzki und Jonas Wolff. Ihnen, den Sponsoren und geladenen Gästen gelang es, die gesamte Planung des Symposiums vor dem Jubilar zu verheimlichen. Erst auf seiner Geburtstagsfeier vor einem Monat wurde Müller mit der Überreichung des Programms überrascht.



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