Spotlight 13/21: Die UN als globaler „Streitraum“: Zur Aktualität von Dag Hammarskjölds Erbe | Anhang

von Ben Christian und Nicole Deitelhoff | Zur Publikation

1 Zitiert in: Manuel Fröhlich, 2002, Dag Hammarskjöld und die Vereinten Nationen: Die politische Ethik des UNO-Generalsekretärs, München: Schöningh, S. 120.

2 United Nations Oral History Collection, Interview mit Brian Urquhart, 30. Mai 1984.

3 Der Fall ist bis heute ungeklärt. Während die ersten Untersuchungen von einem Flugzeugabsturz ausgingen, diskutieren neuere Berichte auch die Möglichkeit eines gezielten Angriffs auf das Flugzeug. Vgl. etwa den neuesten UN-Bericht von 2019: https://undocs.org/A/73/973. Die ebenfalls 2019 erschienene Dokumentation „Cold Case Hammarskjöld“ des Regisseurs Mads Brügger legt den Schluss nahe, dass das Flugzeug von einem belgischen Piloten im Auftrag der Katanga-Rebellen abgeschossen wurde.

4 Sein Nachfolger als UN-Generalsekretär, U Thant, beschrieb die Fokussierung auf (und das Vertrauen in) Dag Hammarskjöld mit den folgenden Worten: „It became a common practice, when any difficult situation came along, for the major organs to say in so many words, ‘Leave it to Dag.’” (zitiert in Roger Lipsey, 2013, Hammarskjöld: A Life, Ann Arbor: University of Michigan Press, S. 319)

5 Martin Lipsey spricht – mit Blick auf Markings – von einer „dual legacy“ Hammarskjölds. Für ihn war Hammarskjöld zum einen „the outstanding diplomat and diplomatic thinker of his era” und andererseits ein „religious author, a sensitive explorer of human identity under modern conditions” (2013: 2).

6 Um an dieser Stelle nur drei zu nennen: Brian Urquhart, 1972, Hammarskjold, New York: Knop; Manuel Fröhlich, 2002, Dag Hammarskjöld und die Vereinten Nationen: Die politische Ethik des UNO-Generalsekretärs, München: Schöningh; Roger Lipsey, 2013, Hammarskjöld: A Life, Ann Arbor: University of Michigan Press.

7 Die „Erfindung“ des (bewaffneten) UN-Peacekeeping wird auf ewig mit dem Namen Hammarskjöld verknüpft sein. Obwohl anfänglich selbst skeptisch, war Dag Hammarskjöld während der Suez-Krise 1956 der entscheidende Kopf und Motor hinter der (erfolgreichen) Aufstellung der ersten internationalen Friedenstruppe mit 6000 Soldaten von mehreren Kontinenten. Dabei war Hammarskjöld sowohl Pragmatist (so ließ er bspw. Helme des US-Militärs in blaue Farbe tunken, weil niemand auf die Schnelle genügend „Blauhelme“ produzieren konnte), als auch Visionär: Er sah die erste bewaffnete Mission nachweislich als Präzedenzfall an, und hielt trotz politischer Widerstände und operativer Widrigkeiten an den Prinzipien fest, die er selbst zuvor entwickelt hatte. Damit leistete Hammarskjöld Pionierarbeit: Die „Blauhelme“ wurden zum zentralen Markenzeichen und Symbol der Vereinten Nationen; hunderttausende Soldat:innen und zivile Kräfte aus insgesamt 120 Ländern waren bis heute in über 70 UN-Missionen im Einsatz. Trotz berechtigter Kritik und tragischer Momente des Scheiterns (etwa in Ruanda 1994) ist das UN-Peacekeeping ein einzigartiges „Tool“ der internationalen Friedenssicherung, das es – basierend auf Hammarskjölds Prinzipien – zu erhalten und stetig weiterzuentwickeln gilt.

8 Diese „Loyalität zur Charta“ beschrieb Hammarskjöld unter anderem in seinem Jahresbericht 1954: „The United Nations must oppose any policy in conflict with the principles of the Charter and must support a policy in accordance with those principles, not in a spirit of partiality, but as an expression of loyalty to the Charter. The attitude proper to the United Nations is thus not one of neutrality but one of active effort to further its most fundamental purposes.”

9 Insbesondere dieses „Erbe“ Hammarskjölds scheint momentan etwas in Vergessenheit geraten zu sein. So wird der amtierende Generalsekretär António Guterres immer wieder dafür kritisiert, die aktuellen Großmächte (vor allem China und die USA) zu oft nur mit Samthandschuhen anzupacken. Dafür mag es im Einzelfall gute Gründe geben – gleichwohl ist klar, dass eine UN, die sich immer wieder den Großmächten beugt, auf Dauer ihre Glaubwürdigkeit und damit ihren Wert verliert. Gleichzeitig kann die UNO natürlich ohne die Großmächte kaum agieren – hier muss also eine heikle Balance gehalten werden.

10 Quelle: https://www.un.org/Depts/dhl/dag/docs/apv883e.pdf. Vgl. dazu auch Fröhlich (2002: 378): „Die Tatsache, daß nahezu alle großen Geheimdienste der Welt zumindest verdächtigt wurden, Hammarskjöld ausschalten lassen zu wollen, wird in der Retrospektive zu einem ganz eigenen Ausweis der Unabhängigkeit des Generalsekretärs.“

11 Dass eine solche Strategie auch nicht immer erfolgreich ist, zeigt die Kongo-Krise, in der es Hammarskjöld trotz großer Bemühungen nicht gelang, einen guten persönlichen Draht – insbesondere zum kongolesischen Premierminister Patrice Lumumba – aufzubauen. Gleichwohl wurde Hammarskjölds Konzept der „vertraulichen Diplomatie“ (und d.h. der Vertrauen bildenden Diplomatie) von anderen UN-Generalsekretären aufgegriffen und lebt nicht zuletzt in Form der „UN-Sondergesandten“ bis heute fort. Zu denken ist etwa an Martin Kobler, der als UN-Sondergesandter von 2015-2017 (vergeblich) versuchte, Frieden in Libyen zu stiften.

12 Rede von Dag Hammarskjöld beim National Press Club Luncheon, Washington, DC, 14. April 1954. Public Papers of the Secretary-General fo the United Nations. Vol. 2, Dag Hammarskjöld 1953-1956. Herausgegeben von Andrew W. Cordier and Wilder Foote. New York: Columbia University Press. S. 286.

13 Zitiert in Lipsey (2013: 238).

14 Unbestritten ist die Situation der Vereinten Nationen gegenwärtig schwierig: Die Rivalität der Großmächte verringert ihre Handlungsfähigkeit im Bereich Frieden und Sicherheit. Das zeigt sich nicht zuletzt in der deutlichen Zunahme des Vetoeinsatzes seitens der Ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat in den letzten Jahren (vgl. Friedensgutachten 2020, Kapitel 4). Aber es ist nicht allein der notorisch schwierige Sicherheitsrat, der die Handlungsfähigkeit der UN bedroht. Auch innerhalb der weiteren UN-Mitgliedschaft ist die Zurückhaltung gegenüber der Weltorganisation gewachsen, gefördert auch durch die militante Weltordnungspolitik der USA im Nahen und Mittleren Osten in ihrem Global War on Terror mit all seinen Verwerfungen in der Region und den Berichten über systematische Folterpraktiken in Geheimgefängnissen. Diese Entwicklungen haben nicht nur das Ansehen der USA und ihrer Alliierten beschädigt, auch die Vereinten Nationen waren davon betroffen, waren sie doch eine der zentralen Bühnen, auf denen die USA ihre Politik rechtfertigten und um Unterstützung warben. Nicht zuletzt ist auch die schwierige finanzielle Lage der Vereinten Nationen zu nennen. Diese war nie wirklich rosig, aber das Mittel des finanziellen Aushungerns hat weiter an Bedeutung gewonnen. Zugleich binden viele finanzstarke Mitglieder ihre freiwilligen UN-Beiträge an konkrete Programme, so dass auch diese Beiträge den Vereinten Nationen nicht zur Verfügung stehen, um eigenständige Schwerpunkte zu setzen und mehr Handlungsfreiheit zu gewinnen.

15 Vgl. Klaus Hüfner und Ronny Patz (2019). Deutschlands Finanzbeiträge zum UN-System zwischen 2008 und 2018, Zeitschrift für die Vereinten Nationen 6/2019: 262-266.

16 UN General Assembly 1960; Fifteenth Session, 883rd Plenary Meeting, 3. Oktober 1950, 15 Uhr, Absatz 11. Online verfügbar: https://www.un.org/Depts/dhl/dag/docs/apv883e.pdf

17 Ansprache auf einer von der United Nations Association organisierten öffentlichen Veranstaltung in der Royal Albert Hall in London am 17. Dezember 1953. In: Andrew W. Cordier and Wilder Foote (Hrsg.). Public Papers of the Secretaries-General of the United Nations, Vol. 2, Dag Hammarskjöld 1953-1956. New York: Columbia University Press, 1972, S. 201.

18 Neujahrsbotschaft, gesendet über den Radiosender der Vereinten Nationen, New York am 31. Dezember 1953. In: Andrew W. Cordier and Wilder Foote (Hrsg.). Public Papers of the Secretaries-General of the United Nations, Vol. 2, Dag Hammarskjöld 1953-1956. New York: Columbia University Press, 1972, S. 209.

19 Interview mit Dag Hammarskjöld im Time Magazine, 27. Juni 1955.

20 Brief an Bo Beskow, 16. März 1957, zitiert in Roger Lipsey, 2013, Hammarskjöld: A Life, Ann Arbor: University of Michigan Press, S. 603.