Grüne Energien und transnationale Kollektive. Energiewende und Konflikte in Kolumbien

Interview mit Martin Gubsch

Der Begriff „Grüne Energien“ lässt an Lösungen für den Klimawandel und eine nachhaltige Entwicklung denken. Doch wie nachhaltig und konfliktfrei ist deren Gewinnung in Ländern wie Kolumbien?

Martin Gubsch: Grüne Energien sind als Schlagwort omnipräsent: Begriffe wie „grün“, „nachhaltig“, „klimaneutral“ und viele mehr beziehen sich meist nur auf einen bestimmten Teil der Wertschöpfungskette. Selten beschäftigen sie sich mit der ökonomischen und sozialen Realität der Menschen, die entlang dieser sehr komplexen Kette arbeiten und leben. Dabei ist nicht nur der Akt der Energiegeneration zu beachten – also das Windrad oder die Solarzelle –, sondern auch die Rohstoffgewinnung, zum Beispiel von Lithium und Kobalt für die Batterietechnik oder von Kupfer, Gold und seltenen Erden wie Indium für die Photovoltaik. Diese Ressourcen kommen nur in sehr geringem Maß aus Europa und Nordamerika, sondern zum Beispiel aus Bolivien, China und der Demokratischen Republik Kongo.

Neben Umweltproblemen durch Minen und Ressourcenabbau gibt es eine weitere Quelle für Konflikte und zwar die sozialen und ökonomischen Lebensbedingungen in den Regionen, in denen Ressourcen und zukünftig verstärkt Energie produziert werden sollen. Dabei kommt es zu Konflikten rund um den Abbau der seltenen Erden. Ursache dafür ist sowohl Umweltzerstörung als auch die fehlende Inklusion der Projekte in regionale Wirtschaftsstrategien. Die Notwendigkeiten reicherer Länder greifen massiv in die Lebenswelten vieler Menschen weltweit ein. Das gilt es mitzudenken, wenn wir von einer „nachhaltigen Energiewende“ sprechen wollen.

Neben Umweltproblemen durch Minen und Ressourcenabbau gibt es eine weitere Quelle für Konflikte und zwar die sozialen und ökonomischen Lebensbedingungen in den Regionen, in denen Ressourcen und zukünftig verstärkt Energie produziert werden sollen.

Für welche Märkte produziert Kolumbien Energie? Auch für Europa?

Martin Gubsch: Kolumbien produziert momentan noch in erster Linie fossile Energieprodukte: Kohle, Erdgas und Erdöl. Bis 2013 war Deutschland neben den Niederlanden und den USA einer der größten Importeure kolumbianischer Kohle aus dem größten Tagebau Südamerikas Cerrejon. Genau in dieser Region des Cerrejon soll jetzt in Zukunft grüner Wasserstoff aus Wind- und Solarenergie für den Export gewonnen werden. Kolumbien will bis 2030 die Preise für grünen Wasserstoff auf ein wirtschaftlich akzeptables Niveau senken und bis 2050 im großen Stil international Wasserstoff exportieren. Dabei wird Deutschland oft an erster Stelle der Länder mit potentiell hoher Nachfrage genannt.

Warum braucht Europa Energie aus Kolumbien? Können wir hier nicht genug produzieren?

Martin Gubsch: Die Energiesicherheit Europas ist seit Jahrzehnten eine der größten und konfliktträchtigsten Herausforderungen. Die internationale Energiebehörde hat 2018 mitgeteilt, dass Europa nach momentanem Stand nicht genug eigenes Potential an erneuerbaren Energien besitzt und höchstwahrscheinlich nicht in der Lage sein wird, den Bedarf aus eigener Kraft zu decken. In Zeiten mit geringer Energieproduktion, wie zum Beispiel nachts im Winter bei geringem Wind, werden schnelle und zuverlässige Überbrückungstechnologien benötigt. Wasserstoff ist dabei eine der vielversprechendsten Optionen.

Deutschland hat im Vergleich zu anderen Ländern eine sehr geringe Kapazität für die Erzeugung regenerativer Energien. Es verfügt über wenig Sonne und wenig Wind. Da können Länder wie Kolumbien um ein Vielfaches günstiger, also effizienter, Energie generieren. Auch wenn die Elektrolyse von Wasserstoff ein sehr ineffizientes Unterfangen ist, kann es sich aufgrund der sehr geringen Betriebskosten von Solar- und Windkraftwerken lohnen.

Das klingt doch sehr gut. Was ist nun das konkrete Problem, dass Du erforschst?

Martin Gubsch: Es gibt in vielen Ländern Konflikte im Kontext der Produktion grünen Wasserstoffs. Teilweise werden sie direkt durch die Implementierung der Projekte verursacht, teilweise werden existierende Probleme intensiviert. In Mexiko, Chile und auch Kolumbien stellt sich die Frage der direkten Teilhabe und der Inklusion dieser Energiestrategien in nationale Entwicklungspläne.

In Kolumbien zum Beispiel wird grüne Energie an Menschen in prekären Lebenssituationen vorbeigeleitet, Menschen, die selbst ohne Strom, Gas, Internet oder Straßen leben. Andererseits gibt es dort progressive legale Mechanismen: Mittels Vorabkonsultationen soll garantiert werden, dass die Gemeinden Unterstützung und Kompensation für die Nutzung ihres Landes bekommen. Diese Konsultationen laufen allerdings nicht immer zufriedenstellend ab. Das liegt zum einen an kulturellen Kommunikationsproblemen, zum anderen an fundamental unterschiedlichen Zukunftsvorstellungen der beteiligten Akteur:innen. Während große Privatunternehmen diese Prozesse als „einfaches“ Business verstehen, spielen der Erhalt von Natur und die Förderung von Landwirtschaft für viele Menschen eine große Rolle, die sich innerhalb sozialer Bewegungen und lokaler Gemeinden engagieren.

Es gibt in Kolumbien eine komplizierte nationale Debatte über die zukünftige Landnutzung sowie über die Gestaltung von Fortschritt und Entwicklung. Dabei sollen nicht die ökologischen und sozialen Fehler der europäischen Industrialisierung wiederholt werden, die die Vertreibung der Landbevölkerung und Zerstörung unberührter Natur in Westeuropa zu Folge hatten. In Kolumbien gilt es jetzt, die Interessen und Zukunftsvisionen aller Beteiligten zusammenzubringen. Nur so kann die internationale Energiekrise bewältigt werden, ohne dass marginalisierte Weltregionen weiter und zusätzlich belastet werden. Es geht um ungleiche Teilhabe und den Nutzen für alle. Zu Recht bestehen Länder darauf, auch an den Reichtümern der Welt teilzuhaben. Zu Recht sehen sie eine Ungleichbehandlung darin, dass Europa jahrhundertelang den Planeten verschmutzt und Reichtum akkumuliert hat und nun andere verpflichten will, den Planeten zu schützen.

Es gibt in Kolumbien eine komplizierte nationale Debatte über die zukünftige Landnutzung sowie über die Gestaltung von Fortschritt und Entwicklung. Dabei sollen nicht die ökologischen und sozialen Fehler der europäischen Industrialisierung wiederholt werden [...].

Wie erhältst Du die Informationen, die Du brauchst? Mit welchen Methoden arbeitest Du?

Martin Gubsch:

Es gibt bisher erst sehr wenig systematische Forschung zu den sozialen, kulturellen und sozioökonomischen Auswirkungen der neuen internationalen regenerativen Energiewirtschaft. Daher arbeite ich für mein Projekt mit einer induktiven, also einer theoriebildenden, erklärenden Vorgehensweise, um grundlegende Problemfelder zu identifizieren und systematisieren. Ich führe narrative Interviews mit Vertreter:innen der verschiedenen Interessensgruppen. Das sind lange Gespräche, in denen ich besonderen Wert auf die freien Redeentscheidungen meiner Forschungspartner:innen lege. Welche Themen sie anbringen, wieviel Zeit und Energie sie für bestimmte Argumente aufwenden, ist dabei ein wichtiger Teil der Analyse. Zusätzlich analysiere ich die öffentlichen Stellungnamen von Vereinen, Firmen und der kolumbianischen Regierung in Hinblick auf ihre politischen Ideen und Ziele. Es gibt bisher erst sehr wenig systematische Forschung zu den sozialen, kulturellen und sozioökonomischen Auswirkungen der neuen internationalen regenerativen Energiewirtschaft.

Es gibt bisher erst sehr wenig systematische Forschung zu den sozialen, kulturellen und sozioökonomischen Auswirkungen der neuen internationalen regenerativen Energiewirtschaft.

Welche Akteur:innen stehen sich gegenüber?

Martin Gubsch: Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Eines der wichtigsten Elemente meiner Untersuchung ist es, die Konfliktparteien nicht nach ihrer Zugehörigkeit zu kulturellen Gruppen zu behandeln. Das wären in der untersuchten Region zum Beispiel die Wayuu als größte indigene Gemeinschaft. Stattdessen gruppiere ich die Beteiligten entsprechend ihrer politischen Vision für das betreffende Territorium. Akteur:innen, die für eine industrielle Entwicklung der Region eintreten, stehen ökologischen Utopisten und konservativeren Landwirten gegenüber, die – neben anderen Überzeugungen – unterschiedliche Ideen für die Entwicklung und Zukunft der Region haben. Ich bin sicher, dass insbesondere Umwelt-, Land- und Ressourcenkonflikte sehr gut über diese Perspektive verstanden und analysiert werden können. Besonders ertragreich ist diese Perspektive, wenn man den Konflikt auf die globale Ebene skaliert. Wir haben auch in Europa viele verschiedene Perspektiven auf erneuerbare Energien und häufig verbinden grundlegende Argumente sehr unterschiedliche Akteur:innen zu transnationalen epistemischen Kollektiven. So vermute ich eine Parallele zwischen deutschem und kolumbianischem Umweltaktivismus, ebenso wie zwischen den Konflikten zwischen Windradgegner:innen oder Privatunternehmen in verschiedenen Regionen der Welt.

Wir haben auch in Europa viele verschiedene Perspektiven auf erneuerbare Energien und häufig verbinden grundlegende Argumente sehr unterschiedliche Akteur:innen zu transnationalen epistemischen Kollektiven.

Diese Verbindung unterschiedlicher Akteur:innen an verschiedenen Orten, die sich vor dem Hintergrund eines postkolonialen Abhängigkeitsverhältnisses mit grüner Technologie befassen, erzeugt eine relativ neue ‚glokale‘ Konfliktstruktur. Diese neue Struktur habe ich als Untersuchungsgegenstand gewählt.

Hinzu kommt in Kolumbien, dass das Land eine lange Konfliktgeschichte hat. Guerrillaeinheiten, paramilitärische Gruppen und Drogenhandel nehmen eine wichtige Position ein und machen das Bild noch komplizierter.

Welche Formen der Konfliktmediation gibt es vor Ort? Gibt es so etwas wie regelmäßige „Runde Tische“?

Martin Gubsch: Wie erwähnt gibt es für jedes Vorhaben, das auf indigenem Land stattfindet, Vorabkonsultationen. Diese Schutzmechanismen wurden in den 1990er Jahren in viele Verfassungen Lateinamerikas implementiert, um indigenes Land vor Ausbeutung zu bewahren. Die Mechanismen sehen u. a. vor, dass die Gemeinden verständlich und klar über die Projekte informiert werden und sie immer das Recht haben, diese abzulehnen. Diese Konsultationen müssen komplett von den interessierten Privatunternehmen finanziert werden.

Große Probleme gibt es von Regierungsseite bei der Identifizierung der richtigen Gesprächspartner:innen sowie bei der Bestimmung der relevanten Gebiete und deren Grenzen. Auch an einer klaren, verbindlichen Kommunikation mangelt es oft. Privatunternehmen heuern häufig Beratungsfirmen an, die sie bei den Konsultationen unterstützen. Dabei ist das Interesse der Unternehmen an einer guten Durchführung sehr unterschiedlich. Es reicht von reinen Alibipflichtveranstaltungen hin zu lang geplanten Verhandlungen mit den Gemeinden, in die sogar Sozialarbeiter:innen einbezogen werden. Die mangelnde Einigung über eine klare Kommunikation wird zur Quelle für Unmut, wenn bestimmte Punkte falsch interpretiert werden und daraufhin die gesamte Konsultation angezweifelt werden kann.

Kannst du deine Forschungsergebnisse und Lösungsansätze den indigenen Communities oder internationalen Institutionen zur Verfügung stellen?

Martin Gubsch:

Das Ziel ist es immer, in Kommunikation mit Forschungspartner:innen zu bleiben und produktiv Ergebnisse mit ihnen auszutauschen. Das ist nicht nur ein moralischer Imperativ, sondern auch für die Überprüfung meiner Ergebnisse äußerst wichtig. Es ist sehr leicht, in der Darstellung interpretativer Daten kleine Fehler oder ungewollte Missverständnisse zu produzieren. Es soll auch nicht zu einer Instrumentalisierung der Befragten für meine Forschung kommen, sondern immer ein beidseitig bereichernder Prozess sein. Nach der Verarbeitung meiner Daten sollen Empfehlungen für Institutionen und auch Privatunternehmen entstehen, die dabei helfen sollen, die Implementierungsprozesse in Zukunft zu verbessern.

Das Ziel ist es immer, in Kommunikation mit Forschungspartner:innen zu bleiben und produktiv Ergebnisse mit ihnen auszutauschen.

Hat der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine bestimmte Konflikte zugespitzt?

Martin Gubsch: Der Ukrainekrieg hat die Gaspreise auf dem Weltmarkt so weit steigen lassen, dass kurzzeitig grüner Wasserstoff die günstigere Alternative gewesen wäre. Allerdings fehlt die Infrastruktur noch um tatsächlich Wasserstoff zu verwenden. Das hat die Bemühungen sehr stark beschleunigt und den politischen Druck erhöht.


Martin Gubsch ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der HSFK im Programmbereich Glokale Verflechtungen.

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Martin Gubsch

Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der HSFK im Programmbereich Glokale Verflechtungen.