Interdisziplinäre Forschung zu Rüstungskontrolle

Interview mit Una Jakob und Niklas Schörnig über den Forschungsverbund CNTR

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Gefahren ins Bewusstsein gerückt, die von rüstungs­­technischen Inno­vationen, Nuklear­­waffen, chemischen und biologischen Kampf­­stoffen ausgehen. Welches Ziel verfolgt der neuen Forschungs­verbund CNTR, in dem Ihr jeweils eine Forschungs­gruppe leitet?

Niklas Schörnig: Der Krieg gegen die Ukraine zeigt deutlich, in welchem Spannungs­feld wir uns gerade bewegen. Auf der einen Seite hilft der Zugriff auf westliche High-Tech-Waffen der Ukraine, sich gegen die quantitativ überlegene russische Aggression erfolgreich zur Wehr zu setzen. Gleichzeitig bereitet die zunehmende internationale Verbreitung moderner Waffen­systeme, wie z. B. Kampf­drohnen, Sorge, dass es zu einer schnelleren Eskalation oder gar internationalen Verwerfungen kommen könnte. Das wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn ein bislang weniger mächtiger Staat durch den Besitz einer neuen Technologie Macht­hierarchien umstößt. Technologien, die in diesem Zusammen­hang in den Sinn kommen, reichen von Hyper­schall­waffen, über zunehmend selbstständig agierende Drohnen bis hin zu Entwicklungen im Nanobereich und nicht zuletzt Cyber­bedrohungen.

Una Jakob: Im Bereich der biologischen und chemischen Waffen zeigen die Ereignisse der letzten Jahre, wie wichtig es ist, die bestehenden Verbote zu unterstützen und durchzusetzen, damit destabili­sierende Entwicklungen und Eskalations­risiken begrenzt werden können. Dies gilt für tatsächliche waffen­bezogene Aktivitäten ebenso wie für gezielte Falsch­informationen, die ebenfalls Spannungen erzeugen oder verstärken können.

Im Forschungs­verbund CNTR wollen wir Chancen und Risiken wissen­schaftlicher und technologischer Entwicklungen in unseren Forschungs­bereichen untersuchen und Handlungs­optionen für einen friedens- und sicherheits­fördernden Umgang mit ihnen erarbeiten. Unser Fokus liegt auf Entwicklungen, die neue Risiken erzeugen oder bestehende verschärfen können sowie auf solchen, die für die Rüstungs­kontrolle neue Chancen bieten. Relevant sind in diesem Zusammen­hang auch die Querschnitts­themen Künstliche Intelligenz (KI) und additive Fertigung – besser bekannt unter dem Begriff 3D-Druck –, die von beiden Forschungs­gruppen in engem Austausch bearbeitet werden.

„Im Forschungs­verbund CNTR wollen wir Chancen und Risiken wissen­schaftlicher und techno­logischer Entwick­lungen [...] untersuchen und Handlungs­optionen für einen friedens- und sicherheits­fördernden Umgang [...] erarbeiten.“ (Una Jakob)

Welche Schwerpunkte setzt ihr in euren jeweiligen Forschungs­gruppen?

Niklas Schörnig: In der Gruppe „Emerging Disruptive Technologies“ schauen wir auf einen ganzen Katalog konventioneller Waffen­systeme und militärisch interessanter Technologien, die aktuell in unterschiedlichen Entwicklungs­stadien sind. Während z. B. einige Staaten schon Hyper­schall­waffen beschafft oder – wie zum Beispiel im Krieg gegen die Ukraine – eingesetzt haben, sind andere Technologien noch weit von militärischer Einsatz­reife entfernt. Letztere bringen aber aus militärischer Sicht große Versprech­ungen mit sich. Ein Beispiel wären die Quanten­technologie oder Technologien, die die Leistungs­fähigkeit menschlicher Soldat*innen signifikant erhöhen.

Allerdings geht es nicht darum, diese neuen Technologien per se zu verbieten. Einige können sowohl aus militärischer, als auch rechtlich-humanitärer Sicht durchaus sinnvoll sein, z. B. wenn eine Vernetzung von zeitnaher Aufklärung und Präzisions­waffen zivile Opfer vermeiden hilft. Schließlich können bestimmte neue Technologien auch helfen, Rüstungs­kontroll­maßnahmen effektiver zu gestalten. So können Inspekteure mithilfe von Drohnen Messungen in gefährlichen Bereichen vornehmen. Auch kann KI dabei helfen, ein natürliches Erdbeben von einer Atom­test­sprengung zu unterscheiden.

Una Jakob: In der Forschungs­gruppe „Bio- und Chemie­waffen­kontrolle“ gilt das Interesse vor allem der Frage, wie sich die bestehenden Verbote dieser Waffen stärken und effektiv durchsetzen lassen. Wir werden wissen­schaftliche und technologische Entwicklungen in der Biologie und Chemie sowie angrenzenden Disziplinen daraufhin untersuchen, welche potenziellen Risiken und Missbrauchs­möglichkeiten sich – auch aus an sich legitimer und nützlicher Forschung – ergeben könnten und wie sich diese einhegen lassen. Dies betrifft zum Beispiel sogenannte Dual-Use-Forschung in der Gesundheits­forschung, wenn auf der Suche nach Präventions- und Behandlungs­methoden Krankheits­erreger so verändert werden, dass sie ein potenzielles Risiko für die öffentliche Gesundheit darstellen könnten. Ein anderes Beispiel wären Entwicklungen für zivile Zwecke, die aber auch die Herstellung oder Ausbringung biologischer oder chemischer Kampf­stoffe erleichtern könnten.

Gleichzeitig wird es in unserer Forschung auch darum gehen zu untersuchen, welche Entwicklungen die Abrüstung und Nicht­verbreitung biologischer Waffen unterstützen könnten, zum Beispiel im Bereich der Verifikation oder der Identi­fikation des Ursprungs eines Krankheits­ausbruchs oder Angriffs. Schließlich wird ein weiterer Aspekt unserer Forschung den Umgang mit gezielter Falsch­information in diesem Bereich betreffen.  

Was ist das Besondere an eurem Projekt‚ sein „Unique Selling Point‘?

Niklas Schörnig: Das Projekt ist inter­disziplinär angelegt und bringt Naturwissen­schaftler*innen aus vielen Fach­disziplinen mit Politik­wissenschaftler*innen zusammen, um gemeinsam die technischen und politischen Fragen zu lösen. Denn ohne fundiertes technisches Wissen ist eine Bewertung bestimmter Technologien und biologischer oder chemischer Stoffe nicht möglich. Gleichzeitig sagt die Verfügbarkeit von Technologie noch nichts über die politischen und militärischen Interessen an diesen Technologien oder die Möglichkeiten zu ihrer Regulierung aus. Hier braucht es sowohl natur- als auch politikwissen­schaftlichen Sach­verstand. Auch muss sichergestellt werden, dass die Forschenden miteinander und nicht neben­einander sprechen.

Wir kooperieren nicht nur eng mit der Technischen Universität Darmstadt und der Justus-Liebig Universität in Gießen, sondern haben im PRIF auch eigene Stellen für Natur­wissen­schaftler*innen geschaffen. Wenn alles gut läuft, können wir im nächsten Jahr am Fach­bereich Physik der TU Darmstadt sogar eine W2-Professur für Naturwissen­schaftliche Friedens­forschung besetzen, die eine leitende Funktion im Projekt übernehmen wird.

„Gleichzeitig sagt die Verfügbarkeit von Technologie noch nichts über die politischen und militärischen Interessen [...] Hier braucht es sowohl natur- als auch politik­wissen­schaftlichen Sach­verstand.“ (Niklas Schörnig)

Werden die Forschungs­ergebnisse Eingang in politische Prozesse finden, zum Beispiel in die Umsetzung der neuen Nationale Sicherheits­strategie?

Una Jakob: Das lässt sich im Voraus schwer abschätzen. Unser Ziel ist es jedenfalls, auch konkrete Handlungs­empfehlungen zu entwickeln und diese für die politische Praxis zugänglich zu machen und im Austausch mit Praktiker*innen in den Diskurs einzubringen.

Mit welchen Stellen kooperiert ihr?

Una Jakob: Unsere Forschung betreiben wir unabhängig. Im Projekt ist aber der Austausch mit dem Auswärtigen Amt und mit anderen Bundes­ministerien und -behörden ebenso vorgesehen wie mit anderen Expert*innen und Forschungs­einrichtungen. Die Formate, in denen wir unsere Ergebnisse veröffentlichen werden, zielen aber auch darauf, die breite Öffentlichkeit zu informieren.

Wie erfährt die Öffentlichkeit von den Ergebnissen eurer Forschung?

Una Jakob: Der Wissens­transfer ist ein wichtiges Element des Forschungs­verbunds CNTR. Hierfür können wir zum Glück sowohl auf projektinterne Mitarbeit als auch auf Unterstützung der bestehenden Strukturen im PRIF zurückgreifen. Wir planen diverse, für die jeweiligen Ziel­gruppen zugeschnittene Formate, über die wir unsere Forschungs­ergebnisse vermitteln wollen.

Wie seid ihr international vernetzt?

Una Jakob: Die einzelnen Mitarbeiter*innen des CNTR-Forschungs­verbunds sind über ihre bisherige Arbeit bereits sehr gut vernetzt. Diese Kontakte werden wir in den Verbund hineintragen, auf Projekt­ebene nutzen und weiter ausbauen.

Gibt es vergleichbare Forschungs­projekte in anderen Ländern?

Una Jakob: Die Themen neue Militär­technologien sowie wissen­schaftliche und technologische Entwicklungen in Biologie und Chemie sind in den letzten Jahren verstärkt erforscht worden. Wir können hier also an bestehende Aktivitäten anschließen. Gleichzeitig ist unser Projekt thematisch und disziplinär sehr breit aufgestellt. Wir forschen nicht nur parallel an diversen Fragen, sondern auch vergleichend und interdisziplinär und verzahnen dabei die natur- und die politik­wissen­schaftliche Perspektive.


Una Jakob ist Forschungs­gruppen­leiterin und Wissen­schaftliche Mitarbeiterin des PRIF.

Niklas Schörnig ist Vorsitzender des Forschungs­rats, Forschungs­gruppen­koordinator und Wissen­schaftlicher Mitarbeiter des PRIF.

Im Gespräch mit

Una Jakob

Forschungs­gruppen­leiterin und Wissen­schaftliche Mitarbeiterin des PRIF

Niklas Schörnig

Forschungs­gruppen­koordinator und Wissen­schaftlicher Mit­arbeiter des PRIF sowie Vorsit­zender des Forschungs­rats