Die sozial-ökologische Transformation als Konfliktfeld
Interview mit Patrick Flamm und Hendrik Simon
Von einer sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft ist vielfach die Rede. Sie scheint angesichts gegenwärtiger Krisen, wie Klimawandel und Ressourcenknappheit, notwendiger denn je zu sein. Warum interessiert Ihr Euch als Konfliktforscher dafür?
Hendrik Simon: Der Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft hin zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit, für den der Begriff der „sozial-ökologischen Transformation“ steht, bringt eine Vielzahl von Konflikten mit sich. Uns interessiert, welche differenten Interessen und Wahrnehmungen in diesen Konflikten existieren. Gibt es Chancen für eine konstruktive Konfliktbearbeitung? Das sind letztlich ganz klassische Fragen der Friedens- und Konfliktforschung, die sich auch bei diesen relativ neuartigen Konflikten stellen.
Patrick Flamm: Neben neuartigen Konflikten kann es natürlich auch um die Umformung bereits bestehender Konflikte gehen, und darum, wie produktive oder positive Konfliktgefüge möglich sind. Der Umbau fossiler Wirtschaftsstrukturen bietet z. B. in vielerlei Hinsicht emanzipatorisches Potential, um gerechte und nachhaltige Gesellschafts- und Wirtschaftsformen zu realisieren, im Kontext u. a. von „just transitions“. Gesellschaftliche Proteste ebenso wie nationale und völkerrechtliche Regulierungen sind Ausdruck und Ergebnis dieser Konflikte.
Was wäre ein typischer Konflikt, der Euer Interesse findet?
Patrick Flamm: Für den Ausbau erneuerbarer Energien und die Elektrifizierung vieler Lebensbereiche wie Mobilität und Heizen werden zunehmend große Mengen kritischer Mineralien wie Lithium, Nickel, Kobalt und Kupfer benötigt, wodurch es wieder zu mehr Bergbauprojekten weltweit kommt. Dabei stehen lokale wirtschaftliche Aussichten und nationale Klimastrategien oft auch den Sorgen um Rechte indigener Gemeinschaften sowie Umweltbedenken gegenüber. Das Beispiel wasserintensiver Lithiumförderung in der chilenischen Atacamawüste ist ein gutes Beispiel für diese Verquickung von Umweltgerechtigkeits- und Machtfragen: Ist es ok, dass dort lokalen Bauern das Wasser knapp wird, damit im fernen Europa Elektroautos gebaut und gefahren werden können?
„Das Beispiel wasserintensiver Lithiumförderung in der chilenischen Atacamawüste ist ein gutes Beispiel für diese Verquickung von Umweltgerechtigkeits- und Machtfragen: Ist es ok, dass dort lokalen Bauern das Wasser knapp wird, damit im fernen Europa Elektroautos gebaut und gefahren werden können?“ (Patrick Flamm)
Hendrik Simon: Zuletzt hat ein Veto der FDP in letzter Minute fast eine EU-Lieferkettenrichtlinie verunmöglicht, für die es in den informellen Trilogverhandlungen bereits einen Kompromiss gab. Das neue Gesetz erhielt dennoch eine Mehrheit im EU-Ministerrat und wird soziale und ökologische Rechte in Wertschöpfungsketten deutlich stärken. Das Argument der FDP: Das Gesetz bürde Unternehmen zu viel Bürokratie auf. Die Frage nach den Kosten der sozial-ökologischen Transformation ist in der Tat ein ganz zentraler Triggerpunkt, wie auch die Debatte um das sogenannte „Heizungsgesetz“ gezeigt hat. Im Falle der EU-Lieferkettenrichtlinie halte ich das Kostenargument aber für wenig stichhaltig – und es kommt schlicht zu spät. So verspielt man diplomatisches Vertrauen.
Ihr forscht zu unterschiedlichen Feldern der internationalen Politik. Du, Patrick, beschäftigst dich mit Geopolitik, Erdsystem-Governance und den Polarregionen. Deine Schwerpunkte, Hendrik, liegen auf völkerrechtlichen Normen, Gewalt und globalen Wertschöpfungsketten. Was versprecht Ihr euch von dem neuen Arbeitskreis am PRIF?
Hendrik Simon: Die Stärke des Arbeitskreises kann es sein, aus – jedenfalls auf den ersten Blick – sehr unterschiedlichen inhaltlichen Perspektiven und Politikebenen, seien sie planetar, global, national, regional oder lokal, auf sozial-ökologische Transformationskonflikte zu schauen. Der Austausch soll also den Blick für Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Dynamiken dieser Konflikte schärfen, aber auch für verschiedene konzeptionelle und methodische Herangehensweisen.
„Der Austausch soll also den Blick für Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Dynamiken dieser Konflikte schärfen, aber auch für verschiedene konzeptionelle und methodische Herangehensweisen.“ (Hendrik Simon)
Patrick Flamm: Wir haben zu den unterschiedlichen Analyseebenen und Forschungsansätzen am Institut bereits vielfältige Expertise. Umwelt- und Transformationsfragen kommen in den jeweiligen Fragestellungen und -ergebnissen vieler Kolleg*innen auch immer auf. Bisher gab es aber kein hausinternes Austauschformat, das das Thema fokussiert und dadurch Synergien nutzbar machen lässt.
Spielen aktuelle militärische Konflikte, zum Beispiel der Ukrainekrieg, für Eure Perspektive auf die sozial-ökologische Transformation eine Rolle?
Patrick Flamm: Militärische Konflikte spielen in vielerlei Hinsicht eine wichtige Rolle, wie z. B. die Sprengung des Kachowka-Damms gezeigt hat. Hier kam es lokal zu großflächiger Verschmutzung und Artensterben flussabwärts, landwirtschaftliche Bewässerungssysteme und ein Wasserkraftwerk fielen aus, und das Kernkraftwerk Saporischschja hatte plötzlich weniger Kühlwasser zur Verfügung.
Das alles spielt auch eine Rolle dafür, ob und wie man einen grünen ukrainischen Wiederaufbau, wie ihn Präsident Selenskyj fordert, erreichen kann. Und gleichzeitig werden in Europa die Fertigungskapazitäten der Rüstungsindustrie hoch-, und die Umweltauflagen für die Landwirtschaft heruntergefahren. Langfristig wird es zunehmend auch eine Rolle spielen, wie sich Streitkräfte weltweit an Dekarbonisierungsbemühungen beteiligen sowie mit ihrer Ausrüstung an klimagewandelte Umgebungen anpassen, und trotzdem jeweils wehrhaft bleiben.
Hendrik Simon: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Volatilität globaler Wertschöpfungsketten nochmals unterstrichen. Das gilt für die Automobilindustrie, die etwa Kabelbäume in der Ukraine produziert. Das gilt für Nahrungsmittellieferketten, deren Störung die globale Dimension des Krieges in der Ukraine besonders deutlich macht. Und das gilt auch für die europäische Energieversorgung. Gerade Deutschland war bekanntlich lange vom günstigen russischen Gas abhängig. Die Energieversorgung sicherzustellen, ohne die eigenen Nachhaltigkeitsziele in Frage zu stellen, stellt eine ganz zentrale Herausforderung für die sozial-ökologische Transformation dar – mit der wiederum politische und gesellschaftliche Konflikte einhergehen.
„Die Energieversorgung sicherzustellen, ohne die eigenen Nachhaltigkeitsziele in Frage zu stellen, stellt eine ganz zentrale Herausforderung für die sozial-ökologische Transformation dar [...].“ (Hendrik Simon)
Wie wollt Ihr Eure Diskussionen sichtbar machen und wie vernetzt Ihr euch?
Hendrik Simon: Einen Anfang machen wir mit unserer PRIF-Blogreihe zu sozial-ökologischen Transformationskonflikten, in denen wir einige Themen aus dem PRIF und aus Partnerinstitutionen vorstellen. Zukünftig sollen aus dem Arbeitskreis weitere Forschungsprojekte hervorgehen.
Patrick Flamm: Eine wichtige erste Partnerinstitution ist dabei das Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) hier in Frankfurt, mit dem wir bereits mehrere inhaltliche Diskussionen zu Transformationskonflikten geführt haben. Diese mündeten auch in erste gemeinsame Antragsideen.
Hendrik Simon ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am PRIF im Programmbereich „Transnationale Politik“ sowie in den Forschungsverbünden ConTrust und TraCe.
Patrick Flamm ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am PRIF im Programmbereich „Internationale Sicherheit“ sowie in der Forschungsgruppe Regimewettbewerb.
Im Gespräch mit
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am PRIF