Das Atomabkommen: Ein historischer Meilenstein für einen stabileren Mittleren Osten/Golf

HSFK-Presseerklärung vom 15. Juli 2015

„Dies ist ein Sieg der Diplomatie“, unterstreichen Prof. Dr. Harald Müller, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Projektleiter Bernd W. Kubbig und der wissenschaftliche Mitarbeiter Giorgio Franceschini. Aus den Erzfeinden USA und Iran werden nicht über Nacht Freunde, aber sie haben erkannt, dass die Ergebnisse Vorteile für beide Seiten bringen. Was die fünf Nuklearmächte, Deutschland und die EU mit dem Iran nach zähen Verhandlungen erreicht haben, zeugt vom guten Willen zum Kompromiss. Denn es galt, völlig unterschiedliche Elemente miteinander zu verrechnen und anzunehmen – etwa die Anzahl der für Teheran zu vermindernden Zentrifugen mit der Lockerung der Sanktionen. Die Friedensforscher weisen auch darauf hin, dass Washington und Moskau trotz ihrer konfrontativen Haltung in der Ukraine-Krise mit Blick auf das Atomabkommen interessenbedingt am gleichen Strang gezogen haben; denn beiden ist an einem nuklearen Iran nicht gelegen.


Entscheidend für die Weltgemeinschaft und insbesondere die Regionalstaaten ist, dass das Abkommen Irans Weg zum Bau einer Atombombe beträchtlich verlängert und erschwert und dazu beiträgt, dass Teheran keinen Anlass sieht, ihn überhaupt zu beschreiten. Die Friedensforscher zeigten sich überrascht von dem Ausmaß der Konzessionen, die Iran in der letzten Verhandlungsrunde gemacht hat: „Noch vor wenigen Wochen hat der Revolutionsführer Khamenei ‚Rote Linien‘ für die Verhandlungen formuliert – fast nichts davon ist übrig geblieben.“


Das Abkommen unterwirft Iran den weitestgehenden Einschränkungen seiner nuklearen Handlungsfreiheit und dem striktesten Kontrollregime, das ein Staat außer dem Irak auf sich nehmen musste – und der hatte 1991 einen Krieg verloren. Die Größe und der Zuschnitt seiner Anlagen und seiner Forschung werden so begrenzt, dass ein plötzlicher Griff zur Atomwaffe unmöglich ist, auch vergangene militärische Aktivitäten müssen aufgeklärt werden, die Internationale Atom-Energie-Organisation erhält außergewöhnliche Zugangsrechte. Auch der Zugang zu nicht-nuklearen Anlagen kann gefordert und mit einer Mehrheit von fünf Stimmen in der neuen Überwachungskommission beschlossen werden. Damit können die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und die EU zusammen solche Inspektionen durchsetzen, Iran kann sie nicht mit seinen beiden „Beschützerstaaten“ Russland und China verhindern. Die Wirtschaftssanktionen werden nur schrittweise aufgehoben, im Gegenzug zur iranischen Erfüllung seiner Verpflichtungen, verletzt der Iran seine Verpflichtungen, greifen die Sanktionen erneut. Iranische Importe und Exporte mit Nuklearbezug müssen von der Überwachungskommission genehmigt werden. Die Maßnahmen dauern bis zu 15 Jahre. Die Friedensforscher hoben hervor, dass auch die vielkritisierte Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU hier einen überragenden Erfolg zu verzeichnen hat; die Hohe EU-Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik wird als Kommissionsvorsitzende eine zentrale Rolle spielen.

 

Entgegen ersten Äußerungen aus der israelischen Regierung erhöht dieses Abkommen die israelische Sicherheit im Vergleich zum Status Quo oder zu den Folgen eines Militärschlags gegen Iran. „Dieses Abkommen kann die gesamte politische Landschaft der Konfliktregion nachhaltig zum Guten verändern“, betonen die Friedensforscher. „Jetzt kommt es darauf an, für Unterstützung zu werben – sowohl bei den überaus skeptischen Regionalmächten Saudi-Arabien und Israel als auch beim US-Kongress und dem militärischen Establishment in der Islamischen Republik“, beschreiben die drei HSFK-Forscher die politische Herkulesaufgabe, die es sofort anzupacken gelte. Entscheidend hierfür ist, dass es insbesondere der Obama-Administration und der Rouhani-Regierung gelingt, das Abkommen transparent umzusetzen. Auch die Bundesregierung, die die zusätzlichen Kosten für die intensiveren Inspektionen im Iran mitfinanzieren wird, spielt eine wichtige Rolle. Berlin könnte gefragt sein, wenn es bei einer Blockade im amerikanischen Kongress darum geht, das EU-Importverbot von iranischem Öl zu lockern oder gar aufzuheben.


Die Obama-Administration hat erkannt, dass das verbesserte Verhältnis zum Iran nicht zu Lasten seiner wichtigsten regionalen Verbündeten Saudi-Arabien und Israel gehen darf. Sie hat bereits begonnen, ihre Schutzmacht-Funktion zu verstärken. Vor allem das saudische Königshaus muss die Lektion lernen, dass eine veränderte Rolle Teherans nicht zwangsläufig nachteilig für Riad ist. Müller, Kubbig und Franceschini nennen die Bedingung dafür: „Rouhani muss insbesondere die Revolutionären Garden davon überzeugen, dass eine zurückhaltende Außenpolitik Teherans eine zentrale vertrauensbildende Maßnahme ist, die die Sicherheit Irans fördert.“

Kontaktperson
Privatdozent Dr. Bernd W. Kubbig
kubbig @hsfk .de
0176 83454075

 

Weitere Informationen:

 

Akademisches Friedensorchester Nahost: http://academicpeaceorchestra.com/

 

Policy Brief no. 43: http://academicpeaceorchestra.com/index.php?p=policybriefs#pb_43
Bernd W. Kubbig und weitere Autoren zeigen auf, dass sich eine Minderung der Rivalität zwischen Iran und Saudi-Arabien und dem Schwerpunkt der kooperativen Sicherheit nicht nur für Teheran, sondern auch für die arabischen Nachbarn auszahlen könnte.