Eine Auszeichnung für Frieden durch Dialog

Der diesjährige Friedensnobelpreis setzt das richtige Zeichen

Lösungsvorschläge für die zahlreichen Konflikte in Nordafrika und dem Nahen Osten drehten sich in letzter Zeit oft um Waffenlieferungen und Militäreinsätze. Mit der Auszeichnung des Nationalen Dialog-Quartetts in Tunesien lenkt das Friedensnobelpreiskomitee die Aufmerksamkeit auf ein erfolgreiches Beispiel für zivile Konfliktprävention aus der Region.


„Das richtige Zeichen“, meint Irene Weipert-Fenner vom Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). „Wichtig ist jetzt jedoch, die richtigen Lehren aus dem tunesischen Beispiel zu ziehen. Es geht nicht darum, Tunesien als glorreiche Ausnahme in einer ansonsten verlorenen Region zu sehen.“ Denn was rückblickend wie ein schlichter Vermittlungserfolg für das Quartett aussehen mag, war ein schwerer und oft vom Scheitern bedrohter Prozess. Monatelang verhandelten die wichtigsten zivilgesellschaftlichen Organisationen Tunesiens – der Gewerkschaftsdachverband, der Arbeitgeberverband, die Tunesische Menschenrechtsliga und der Anwaltsorden.


Dass dieses Quartett es schaffte, zwischen islamistischen und säkularen Akteuren zu vermitteln und den Verfassungsprozess zu retten, lag sicher nicht daran, dass Tunesier generell konsensfreudiger sind, wie es manchmal dargestellt wird. Die Polarisierung zwischen den beiden Lagern verbunden mit der Furcht, unter der Herrschaft des jeweils andern alle Rechte zu verlieren, sitzt tief und ist keineswegs geringer als etwa in Ägypten. Dort hatte das Militär im Sommer 2013 die politische Feindschaft zwischen Islamisten und säkularen Kräften genutzt und die Macht ergriffen. Aus ebendiesem Grund ist der Erfolg des Quartetts so wertvoll, da er zeigt, dass auch in jenem extrem emotionalen und aufgeheizten Konflikt ein konstruktiver Umgang miteinander gefunden werden kann.


Grundstein hierfür war die gegenseitige Anerkennung beider Seiten und ihrer jeweiligen Legitimitätsansprüche. Bei der Bildung des Nationalen Dialogs pochte die islamistische Nahda-Partei auf ihre Legitimität durch freie Wahlen. Sie forderte, beim Dialogprozess prozentual zu ihrem Erfolg bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung stimmberechtigt zu sein. Dagegen beriefen sich ihre Gegner auf die Legitimität durch Konsens, den die von der Nahda-Partei geführte Regierung angesichts wachsender Proteste verloren habe, und forderten die Auflösung der Versammlung. Das Quartett schaffte es, beide Ansprüche zu versöhnen, indem zwar ausschließlich gewählte Parteien am Nationalen Dialog teilnahmen, jedoch jeweils nur mit einer Stimme.


Die Auszeichnung durch das Nobelkomitee ruft auch den Nationalen Dialog als ein wertvolles Instrument der zivilen Konfliktprävention in Erinnerung. Obwohl die Bezeichnung immer wieder von Autokraten missbraucht wird, um den Schein von Pluralismus und Partizipation zu generieren, dürfen auch die gescheiterten Fälle nationaler Dialoge wie in Libyen oder Jemen nicht dazu führen, die Idee an sich zu verwerfen. Das tunesische Beispiel verdeutlicht vielmehr einige Faktoren, die einen Dialogprozess zum Erfolg führen können. Dazu zählt, dass wichtige zivilgesellschaftliche Akteure beteiligt waren. Sie besaßen ausreichend Gewicht, um zu vermitteln, aber auch immer wieder Druck auf politische Akteure auszuüben und sie zu Kompromissbereitschaft zu bewegen. Zudem bewies die Zusammensetzung des Quartetts, dass auch natürliche Gegenspieler – wie der Arbeitergeberverband und der Gewerkschaftsdachverband – an einem Strang ziehen können. Das abschreckende Beispiel des Militärcoups in Ägypten sowie der Druck internationaler Geldgeber, den Verfassungsprozess erfolgreich zu beenden, trugen ihren Teil für den nötigen politischen Willen bei.


Der Friedensnobelpreis für das Quartett sollte jedoch nicht nur die Nachbarländer, sondern auch Tunesien selbst dazu bewegen, wieder stärker auf Dialog zu setzen. Seit der Verabschiedung der neuen Verfassung und der Neuwahl von Parlament und Präsident im letzten Jahr haben es der Wahlgewinner, die säkulare Partei Nidaa Tunis, und die Nahda-Partei geschafft, in einer Regierungskoalition zusammenzuarbeiten. Dennoch dominiert seitdem das Thema der nationalen Sicherheit die politische Debatte, noch einmal verstärkt durch die terroristischen Anschläge im März und Juni dieses Jahres. Neue Anti-Terrorgesetze drohen, die hart erkämpften Freiheiten und Rechte wieder zu beschränken. Die sozialen und wirtschaftlichen Nöte vieler Tunesier wie hohe Arbeitslosigkeit, besonders unter gut ausgebildeten jungen Menschen, und die Marginalisierung ganzer Regionen erhalten dagegen wenig Aufmerksamkeit. Dies führt wiederkehrend zu großen Protestwellen. Eine genaue Analyse, die im HSFK-Forschungsprojekt „Sozioökonomische Proteste und politische Transformation in Ägypten und Tunesien“ erfolgt, zeigt, dass viele sozioökonomisch motivierte Demonstrationen auch mehr Partizipation an Entscheidungsprozessen fordern und das bisherige Wegschauen der Entscheidungsträger anprangern.


Angesichts der großen Herausforderungen bleibt zu hoffen, dass auch die tunesische Regierung stärker auf breite Beteiligung und Verhandlung setzen wird. Die diesjährigen Friedensnobelpreisträger haben bereits wieder ihre Dienste zur Vermittlung angeboten.

 

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