“Let's fight each other another day” – Wie bewaffnete Oppositionsgruppen Herausforderungen der Kooperation im Kontext komplexer Bürgerkriege bewältigen
Bürgerkriege, insbesondere die, in denen mehrere Akteure involviert sind, werden häufig als hochgradig anarchisch dargestellt – zahlreiche Akteure mit unterschiedlichen Loyalitäten und Zielen bekämpfen einander, nicht unähnlich dem „Krieg aller gegen aller“, den Hobbes beschwor. Ein Zitat von Cunningham, Gleditsch und Salehyan (2009, 572) verdeutlicht diese Vorstellung: “different organizations that claim to represent the same group often spend as much time fighting one another as the government.” Es besteht weitgehend die Annahme, dass Kooperation, wenn sie überhaupt entsteht, ein überaus fragiles und kurzfristiges Phänomen ist. Dementsprechend ist die Forschungsliteratur zu Dynamiken bewaffneter Gruppen in komplexen Bürgerkriegen hauptsächlich auf oberflächliche Konzeptualisierungen von Kooperation begrenzt: auf das Schließen militärischer Bündnisse einerseits und Betonung der Kämpfe zwischen sowie innerhalb der Gruppen andererseits.
Die Analyse der Beziehungen zwischen bewaffneten Oppositionsgruppen im syrischen Bürgerkrieg stellt jedoch beide Ansätze in Frage. Erstens zeigt sich, dass Formen der Kooperation zwischen diesen Gruppen nicht nur sehr häufig, sondern teilweise auch überraschend stabil und langfristig sind. Dies ist der Fall trotz zahlreicher Herausforderungen an Kooperation wie personelle, ideologische und strategische Differenzen, sowie Konkurrenz um materielle und immaterielle Ressourcen. Zweitens betrachtet die Analyse Gewalt zwischen Rebellengruppen als eine Funktion des Zerfalls von Kooperation und schlägt einen umfassenderen theoretischen Ansatz vor, der Kooperation, Konflikt und deren Verknüpfungen erklärt.
Das Buchmanuskript, das auf der Dissertation der Projektleiterin basiert, führt eine Typologie der Kooperation in Bürgerkriegen mit mehreren Parteien ein. Ferner wird die Entstehung, Stabilisierung und schließlich der Zerfall drei distinktiver Kooperationstypen in Bürgerkriegen nachgezeichnet. Auch wird die Herausbildung von Hierarchie als spezieller Typus der Kooperation in den Blick genommen, die unter anderem durch die Kooptierung von Rivalen entstehen kann. Jeder Typus ist durch spezifische Interaktionsmuster zwischen den beteiligten Akteuren charakterisiert (Kooperation, Konflikt und Konfliktmanagement). Gewalt zwischen den Rebellengruppen variiert ebenfalls innerhalb der Typen – sie ist durch den Grad der Institutionalisierung von Kooperation strukturiert und begrenzt. Die daraus entstehenden sozialen Ordnungen zielen darauf ab, kontraproduktive Gewalt zu vermeiden.
Empirisch kombiniert das Manuskript eine reichhaltige Sammlung von Sekundär- und Primärdaten über den syrischen Konflikt. Dazu zählen neben Sekundärdokumenten tausende von Primärdokumenten und zahlreiche Interviews. Diese umfassen Mitglieder und Anführer von einflussreichen Rebellengruppen, zivile Aktivist*innen, Angehörige der lokalen Oppositions-Verwaltungen, humanitäre Helfer*innen, Justizpersonal sowie Gespräche mit sunnitischen Geistlichen in der Türkei und Syrien. Dieses Material bildet das Fundament für vier detaillierte Fallstudien zu den Beziehungen bewaffneter Gruppen im syrischen Bürgerkrieg (2012-2019). Zudem wird die Typologie durch die Untersuchung von Kooperations- und Konfliktprozessen zwischen bewaffneten Gruppen in Konflikten weltweit getestet und erweitert.
Das Manuskript präsentiert einen integrativen Ansatz, der die Verknüpfungen zwischen aber auch Variationen von Kooperation und Konflikt erklärt und baut dabei auf dem relational contracting approach der Internationalen Beziehungen auf. Dieser Ansatz stellt die Beziehungen heraus, die entstehen, wenn Akteure mehrfach in ähnliche Tauschsituationen treten und deren Fortbestehen ein hoher Wert zugeschrieben wird (Williamson 1981; Lake 1996). Betont wird dabei “the endogenous nature of institutions and relations” (Lake 1996, 29). Staniland folgend (2012, 2017) wird ein Ansatz entwickelt, der das Potential hat, die breite Palette möglicher Interaktionsmuster in bewaffneten Konflikten zu verstehen: von gewalttätigen Konfrontationen bis hin zur friedlichen Koexistenz und Kooperation zwischen nicht-staatlichen aber auch staatlichen Akteuren. Des Weiteren soll der Ansatz helfen, unterschiedliche Konstellationen innerhalb eines Konflikts zu verstehen – ein Aspekt, der mehr und mehr in den heutigen komplexen Kriegen zum Tragen kommt. Schließlich wird auch berücksichtigt, wie sich externe Unterstützung auf die unterschiedlichen Typen der Beziehungen zwischen bewaffneten Gruppen auswirkt. Dadurch leistet das Manuskript einen wichtigen Beitrag spezifisch für die Konfliktforschung, aber auch allgemeiner für die Internationalen Beziehungen.
Cunningham, David E., Kristian Skrede Gleditsch, and Idean Salehyan. 2009. “It Takes Two: A Dyadic Analysis of Civil War Duration and Outcome.” The Journal of Conflict Resolution 53(4): 570–97.
Lake, David A. 1996. “Anarchy, Hierarchy, and the Variety of International Relations.” International Organization 50(1): 1–33.
Staniland, Paul. 2012. “States, Insurgents, and Wartime Political Orders.” Perspectives on Politics 10(2): 243–64.
Staniland, Paul. 2017. “Armed Politics and the Study of Intrastate Conflict.” Journal of Peace Research 54(4): 459–67.
Williamson, Oliver E. 1981. “The Economics of Organization: The Transaction Cost Approach.” American Journal of Sociology 87(3): 548–77.
- Who owns the law?: Logics of Insurgent Courts in the Syrian War (2012-2017) | 2022
Schwab, Regine/Massoud, Samer (2022): Who owns the law?: Logics of Insurgent Courts in the Syrian War (2012-2017), in: Gani, Jasmine K./Hinnebusch, Raymond (eds), Actors and Dynamics in the Syrian Conflict's Middle Phase: Between Contentious Politics, Militarization and Regime Resilience, London: Routledge, 164–181, https://doi.org/10.4324/9781003254904.
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- Escalate or Negotiate? Constraint and Rebel Strategic Choices Towards Rivals in the Syrian Civil War | 2021
Schwab, Regine (2021): Escalate or Negotiate? Constraint and Rebel Strategic Choices Towards Rivals in the Syrian Civil War, in: Terrorism and Political Violence, 1–20, DOI: 10.1080/09546553.2021.1998007.
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