HSFK-Standpunkt: Fünf Jahre Bürgerkrieg in Syrien

Machtpolitische Lösungsansätze als Ausweg? / Von Daniel Müller

Laut einer aktuellen Studie des Syrian Center for Policy Research (SCPR), gefördert vom Entwicklungs­­programm der UN, lag die Zahl der Toten und Verletzten durch den Krieg in Syrien Ende 2015 bei 470.000. 45 Prozent der Bevölkerung wurde vertrieben, die Lebenserwartung sank auf 55,4 Jahre und 45,2 Prozent der Kinder gehen nicht mehr in die Schule.

Viele diplomatische Bemühungen hatten das Ziel, den Bürgerkrieg einzudämmen oder beizulegen. Bislang scheiterten jedoch alle Vermittlungen am Unwillen der Konfliktparteien in Syrien und/oder an internationalen Meinungs­verschiedenheiten und Interessens­konflikten. Keine Initiative konnte einen stabilen Waffenstillstand herbeiführen.

Das Frühjahr 2016 brachte letztlich einen Hoffnungs­schimmer:  Nach Jahren der ausschließlich schlechten Nachrichten nahmen die Kampfhandlungen in Syrien, flankiert durch die Waffenruhe zwischen Regime und Opposition, drastisch ab. Was war geschehen? Russland und die USA hatten ihre jeweiligen Verbündeten unter Druck gesetzt und das gemeinsame Vorgehen tat seine Wirkung. Könnte das die Lösung sein?

Im aktuellen Standpunkt 03/2016 „Fünf Jahre Bürgerkrieg in Syrien. Kein Friede in Sicht und nur machtpolitische Lösungen scheinen noch einen Ausweg zu bieten“ zeichnet Daniel Müller den Konflikt in Syrien, seine Anfänge, die beteiligten Akteure und ihre jeweiligen Interessen nach. Er zeigt, dass die USA und Russland trotz ihrer sehr unterschiedlichen Verbündeten und bisherigen Politiken gewichtige gemeinsame Interessen in der Region haben. Eine instabile Region im Nahen Osten bietet ein ideales Rückzugs­­­gebiet und einen Nährboden für nicht-staatliche Akteure und radikal-islamischen Terrorismus. Das gefährdet die Sicherheitsinteressen beider Länder. Der Autor wägt ab, wie die beiden Großmächte Einfluss nehmen könnten, welche Hindernisse dagegen stehen und wie groß die Chancen sind, mit Machtpolitik eine diplomatische Lösung zu erzwingen.

Dieser HSFK-Standpunkt Nr. 3/2016 steht als kostenloser Download zur Verfügung.

 

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"Die Großmächte müssen gemeinsam auf einen politischen Prozess drängen"

Ein Interview mit Daniel Müller, Autor des HSFK-Standpunkts "Fünf Jahre Bürgerkrieg in Syrien"

Die Lage in Syrien scheint immer komplexer zu werden. Weshalb scheiterten bislang alle Vermittlungsversuche und diplomatischen Initiativen?

Weil die Lage in Syrien so unübersichtlich ist und der Bürgerkrieg in den letzten fünf Jahren so vielschichtig eskaliert ist, ist es extrem schwierig, eine Lösung für den Konflikt zu finden. Die Bedingungen für diplomatische Verhandlungen sind alles andere als ideal: Der syrische Bürgerkrieg ist in einen regionalen Konflikt zwischen Iran und einigen arabischen (Golf-) Staaten eingebettet. Beide Seiten unterstützen unterschiedliche Bürgerkriegs­fraktionen in ihrem Kampf gegeneinander. 

Getrieben von unterschiedlichen Partnerschaften und Interessen in der Region, von unterschiedlichen Ordnungsvorstellungen sowie einigen Animositäten, haben sich auch Großmächte wie die USA und Russland auf unterschiedliche Seiten des syrischen und regionalen Konflikts geschlagen. Der auf internationaler Ebene durchaus breit vorhandene Wille zu einer Beilegung des Konflikts zerreibt sich bislang zwischen diesen Meinungsverschiedenheiten. Resultat ist, dass die jeweiligen Parteien im Kampf gegeneinander gestärkt werden, während ein diplomatischer Friedensprozess kaum voran kommt.

Im Frühjahr 2016 gab es einen Hoffnungsschimmer: die Kampfhandlungen in Syrien nahmen für einige Zeit ab. Was ist da passiert?

Im Vergleich zu den vorherigen Bürgerkriegsjahren gab es Anfang 2016 einige Entwicklungen, die Grund zur Hoffnung gaben: Mit dem Ende 2015 etablierten „Hohen Verhandlungskomitee“ schien es endlich ein halbwegs repräsentatives, entscheidungsfähiges sowie international akzeptiertes Vertretungsorgan zahlreicher Oppositionsgruppen zu geben. Im Frühjahr fand dann eine vom Sicherheitsrat unterstützte Verhandlungsrunde zwischen Regime und Oppositionsgruppen statt, die durch eine von den USA und Russland verabredete Waffenruhe Zeit und Raum erhielt. Die Effektivität der Zusammenarbeit zwischen den USA und Russland war in diesem Fall eine große Überraschung. Wie wir wissen, währte der Hoffnungsschimmer nicht lange. Dennoch zeigte sich im Frühjahr 2016, was alles möglich wäre, wenn sich die USA und Russland auf eine gemeinsame Strategie in Syrien verständigen würden. 

Wie könnte der Konflikt in Syrien gelöst werden bzw. welche Maßnahmen haben die größten Aussichten auf Erfolg? 

Eine tragfähige Antwort auf die erste Frage kann derzeit wohl leider niemand geben. Es lässt sich höchstens zeigen, wie sich bessere Voraussetzungen für eine Stabilisierung Syriens schaffen lassen. Angesichts der regionalen und internationalen Konflikte ist es unwahrscheinlich, dass sich in absehbarer Zeit eine konsensuale, erfolgsversprechende Friedensstrategie entwickelt. So sehr man regionale Lösungen bzw. tragfähige multilaterale Initiativen in solchen Krisen auch braucht: Beides setzt in diesem Fall voraus, dass sich zunächst die einflussreichsten internationalen Akteure einigen und dann ihr Gewicht einsetzen, um auf einen gemeinsamen diplomatischen Prozess zu drängen. Großmachtpolitik ist in vieler Hinsicht völlig zu Recht unpopulär – derzeit ist in Syrien aber ein konstruktives Engagement Russlands und der USA eine wichtige Voraussetzung für eine Besserung der Situation. Grund zur Hoffnung gibt es: denn für beide Staaten bergen die regionale Instabilität und die Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure zunehmend große Risiken. 

"Die Großmächte müssen gemeinsam auf einen politischen Prozess drängen"

Ein Interview mit Daniel Müller über die aktuelle Lage in Syrien und die Frage, welche politischen Maßnahmen die Situation verbessern könnten. Zum Interview