A Century of Anarchy?

Neues Buch von Hendrik Simon bei Oxford University Press erschienen

Ausschnitt des Buchcovers: Buchtitel unterhalb eines Bildes von einem Kreis, der zur Hälfte schwarz und zur Hälfte weiß ist

Ausschnitt des Buchcovers: A Century of Anarchy? War, Normativity, and the Birth of Modern International Order | Oxford University Press

Am 7. Mai 2024 ist das neue Buch „A Century of Anarchy? War, Nor­mativity, and the Birth of Modern Inter­national Order” von Hendrik Simon bei Oxford Uni­versity Press erschienen. In dem auf seiner Disser­tation basierenden Buch setzt sich der wissen­schaftliche Mitarbeiter des PRIF kritisch mit der weit­verbreiteten Vor­stellung vom „freien Recht zum Krieg“ (liberum ius ad bellum) auseinander – und verortet die Geburts­stunde des modernen völker­rechtlichen Kriegs­verbots im frühen 19. Jahrhundert. 

Gemein­hin wird davon ausge­gangen, dass souveräne Staaten im 19. Jahr­hundert Krieg als politisches Instru­ment einsetzen „durften“, wann immer sie es für not­wendig hielten. Erst mit der Gründung des Völker­bundes, dem Kellogg-Briand-Pakt und der UN-Charta wurde dieses „Recht“ schritt­weise geächtet, so die allgemeine Lesart der histo­rischen Ent­wicklung. Auf ein „Jahr­hundert der Anarchie“ folgte demnach eine radikale Trans­formation von Völker­recht und inter­nationaler Politik hin zu einem allgemeinen Gewalt­verbot in den inter­nationalen Beziehungen nach Art. 2 (4) der UN-Charta. 

In seinem Buch dekon­struiert Simon das Diktum eines „freien Rechts auf Krieg“ und das damit verbundene Fortschritts­narrativ als Mythos in der Geschichte der Inter­nationalen Beziehungen und des Völker­rechts. Teil I des Buches skizziert eine Genealogie der modernen Kriegs­rechtfertigungen, die sowohl politische als auch theo­retische Diskurse seit der Französischen Revo­lution umfasst. Dabei wird deutlich, dass inter­nationale Gewalt durch die Moderne hindurch legitimations­bedürftig war.  

In Teil II zeigt Hendrik Simon denn auch, dass das „liberum ius ad bellum“ eine Erfindung realistischer Rechts­gelehrter im deutschen Kaiser­reich war, die gegen den Main­stream liberaler Völker­rechtler anschrieben. In den inter­nationalen Historio­graphien zwischen und nach den Welt­kriegen wurde diese radikale Minder­meinung als vermeintlich richtig uni­versalisiert – paradoxer­weise sowohl von „realistischen“ Autoren wie dem NS-Staats­rechtler Carl Schmitt als auch von Liberalen wie Hans Wehberg. Letztere wollten die völker­rechtlichen Normierungen seit 1920 als besonders progressiv dar­stellen. Das Narrativ vom „anarchischen“ 19. Jahr­hundert diente ihnen daher als Kontrast zur neuen völker­rechtlichen Ordnung. Mit großem Erfolg: Das schwarz-weiß Denken über eine „alte“ Ordnung vor 1920 und eine „neue“ Ordnung nach 1920 dominiert die inter­nationale Geschichts­schreibung bis heute.  

„A Century of Anarchy?“ bietet eine weg­weisende Studie und eine fakten­reiche Lektüre für Historiker*innen, Jurist*innen und Forschende im Bereich der Politischen Theorie, der Friedens- und Konflikt­forschung sowie der Inter­nationalen Beziehungen. Zugleich richtet sich das Buch an alle, die an der Geschichte von Krieg und der modernen inter­nationalen Ordnung interessiert sind. Simon dekonstruiert nicht nur kunst­voll den Mythos des „liberum ius ad bellum“, sondern verfolgt auch die politischen und theo­retischen Wurzeln des modernen Kriegs­verbots zurück ins frühe 19. Jahr­hundert. Das 19. Jahr­hundert, so Hendrik Simon, war kein „Jahr­hundert der Anarchie“ – es war die Ära, in der die moderne inter­nationale Ordnung geboren wurde.

Weitere Informationen zum Buch finden Sie auf der Webseite der Oxfort University Press.