Der Völkermord an den Tutsi 1994 in Ruanda war eine weltpolitische Zäsur. Er warf Fragen zur Verantwortung der internationalen Gemeinschaft und der Handlungsfähigkeit ihrer Institutionen angesichts schwerster Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf. Die Aufarbeitung noch ungeklärter Punkte dauert bis heute an. In Deutschland zählt dazu auch die Frage nach dem außenpolitischen Auftreten der Bundesregierung vor und während des Genozids.
In ihrer Studie „Akteneinsichten. Die deutsche Außenpolitik und der Völkermord in Ruanda“, veröffentlicht von der Heinrich-Böll-Stiftung, beleuchten Sarah Brockmeier und Anton Peez die Rolle Deutschlands mithilfe dafür erstmals freigegebener Akten des Auswärtigen Amts. Ihre Analyse ergibt unter anderem, dass deutsche Diplomat:innen 1993 und 1994 besser über die Lage vor Ort unterrichtet waren als bisher angenommen, die sich anbahnende Gefahr allerdings unterschätzten und wichtige Warnhinweise übersahen.
Das Papier zeichnet neben politischen Fehleinschätzungen auch die ministeriellen Uneinigkeiten innerhalb der Bundesregierung nach, die ein stärkeres Engagement im ruandischen Friedensprozess und eine Unterstützung der UN-Friedensmission im Vorfeld und während des Völkermords verhinderten. Um die erkannten Fehler in Zukunft nicht zu wiederholen, schlagen die Autor:innen verstärkte Maßnahmen der Krisen-Frühwarnung („Early Warning“) in der deutschen Außenpolitik sowie den Ausbau der ressort-übergreifenden Strategien für die rechtzeitige Reaktion auf Warnhinweise („Early Action“) vor.