Die Transformation der Rüstungskontrolle. Normdynamik und Gerechtigkeitsansprüche in Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung

Die Einhegung der Risiken, die von einem ungehemmten mehrseitigen Rüstungswettlauf ausgehen, zählt zu den wichtigsten Aspekten einer normativ gestützten Weltordnung. Eine normative Ordnung im Sinne der Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung hat das Potential, in allen drei Aspekten risikodämpfend zu wirken. Ein ungehemmter Rüstungswettlauf hingegen ist geeignet, die Verdichtung von internationalen Normen auch in anderen Feldern der Internationalen Politik zu be- oder verhindern. Die zentrale Frage des Projekts war die nach der Möglichkeit einer normativen Ordnung im Feld der Kontrolle von Massenvernichtungswaffen im 21. Jahrhundert. Wir fragten nach dem Grad an Überlappung/Gemeinsamkeit bzw. Differenz/Gegensätzlichkeit nicht nur der angestrebten Politiken, sondern auch der dahinter liegenden Wahrnehmungen, Weltbilder und Selbstbilder und – damit verbunden – der von den Akteuren definierten vitalen Interessen. Dabei widmeten wir der Frage der „Gerechtigkeit/Fairness“ des Status Quo und der jeweils angestrebten Regelungen sowie der Beziehung der jeweilig angewandten Fairness-Standards zu den Interessen besondere analytische Aufmerksamkeit gewidmet.

Aus dieser Perspektive erforschten wir die Zusammenhänge zwischen Identität/Rollenverständnis, Interessenkonstruktion, angestrebten normativen Ordnungen und ihrem zugrunde liegenden Gerechtigkeits/Fairness¬-Standard und politischem Output. Das Projekt untersuchte die Dynamik dieser normativen Systeme anhand von drei Variablen, die in der bisherigen Forschung als mögliche „Treiber“ von Normevolution identifiziert worden sind.


Bei den strukturellen Faktoren unterschied das Projekt intrinsische und extrinsische Einflüsse. Bei den intrinsischen Faktoren geht es um die Konflikte existierender normativer Systeme, vor allem Konflikte über die Auslegung und Gewichtung von Normen mit besonderem Augenmerk auf Gerechtigkeitskonflikten. Die extrinsischen Faktoren umfassen technologische Veränderungen und gravierenden Wandel in der internationalen Umwelt wie das Ende des Ost-West-Konflikts, die Machtverschiebungen zwischen etablierten und aufsteigenden Weltmächten und das singuläre Schockereignis des 11. September 2001.

Die Rolle der Akteure analysierten wir mit dem Konzept des „Normunternehmertums“, wobei die Typen Großmächte, „Middle Powers“, Reformer und Revolutionäre aus dem „globalen Süden, Nichtregierungsorganisationen sowie die EU und die Vereinten Nationen als internationale Normunternehmer unterschieden:

Einzelne Fallstudien prüften mit Hilfe inhalts- und prozessanalytischer Verfahren, ob und, wenn ja, welchen Einfluss die genannten Variablen auf die Schaffung bzw. Veränderung – auch die Schwächung und den Zerfall – von internationalen Normen ausüben. Besondere Aufmerksamkeit galt dabei der Norm der „Gerechtigkeit“ und der Frage, inwieweit konfligierende Gerechtigkeitsansprüche die Dynamik der Normsysteme prägen.

Unsere Ergebnisse charakterisierten Normdynamik in den Regimen als eine komplexe Interaktionsmmischung von nationalen Interessen, Gerechtigkeitsansprüchen und daraus resultierenden Regimekonflikten, beeinflusst von Technologieentwicklung und Schlüsselereignissen. Allerdings wirken sich diese Variablen in ambivalenter Weise auf die Normdynamik aus. Sie machen die Weiterentwicklung des normativen Gefüges mögliche oder beschränken sie massiv, aber sie determinieren sie nicht. Gelegentlich stellten sie gravierende Herausforderungen der Regimenormen dar, die die Stabilität eines Regimes im Kern erschüttern können. In den meisten Fällen motivierten sie Regimemitglieder, nach Kompromissen zu finden, um die Regime an den Wandel anzupassen und für die Herausforderungen zu wappnen. Normunternehmer wurden zu Aktivitäten motiviert, die normative Struktur der Regime kreativ zu entwickeln und damit robuster und effektiver zu machen. Es ist solchen Anstrengungen einzelner Akteure oder Akteursgruppen (gelegentlich auch innenpolitischem Wandel in Schlüsselstaaten) zu danken, dass das Risk der Normdegeneration und Normzerfall sich in unserem Sample von Regimen nicht realisierte.

Damit zeigte sich letztlich, dass die Entwicklung von Normen – zum „Besseren“ oder zum „Schlechteren“ – von dem konsistenten Engagement der Akteure abhängt. Unser Blick auf die Normunternehmer ergab interessante Ergebnisse über deren Reaktionsweise auf externe Stimuli, ihre Motivationen und ihren Aktionsstil. Unter den von uns untersuchten Akteuren gab es eine durchaus heterogene Gruppe, die bereit war, - auf der Grundlage ihrer spezifischen Kombination von Interessen, Identität und Gerechtigkeitsverständnis – Anstrengungen zu unternehmen, um die Regime stärker, effizienter und gerechter zu gestalten. Sie scheinen einer Art „Gemeinwohlorientierung“ zu folgen, die sich mit einer starken Motivation für Gerechtigkeit und andere moralische Ziele mischt; dabei unterscheiden sie sich hinsichtlich der Intensität dieser Orientierung und deren relativem Gewicht im Vergleich zu anderen Zielen wie etwa Regimeeffizienz oder Bündniserwägungen. Die untersuchten Großmächte und Nordkorea (!) scheinen mehr von interessenbasierten Motiven angetrieben zu sein, die allerdings in gerechtigkeitsbasierte Rechtfertigungen eingebettet sind, die sich v.a. am Prinzip der statusabhängigen Gerechtigkeit ausrichten. Ein anderer eher überraschender Befund war, dass sogar Iran, - häufig als normbrechender „Schurkenstaat“ apostrophiert- einen gewissen Sinn für Normunternehmertum aufwies. Iran folgte daher einem eher fundamentalistischen Ansatz, der auf die grundlegende Veränderung des Status Quo durch die Rückkehr zur „wahren Bedeutung“ der etablierten Normen abzielte, wodurch ungerechte Ungleichheiten in der Staatenwelt beseitigt werden sollen.

Projektleitung:
Mitarbeiter/innen:
1
How contestation can strengthen the nuclear nonproliferation regime | 2018

Wunderlich, Carmen (2018): How contestation can strengthen the nuclear nonproliferation regime, Contemporary Security Policy, 18.1.2018.

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2
Not lost in contestation | 2018

Müller, Harald / Wunderlich, Carmen (2018): Not lost in contestation. How norm entrepreneurs frame norm development in the nuclear nonproliferation regime, in: Contemporary Security Policy, 1–29, DOI: 10.1080/13523260.2017.1394032.

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3
Global Non-proliferation ‘Clubs’ vs. the NPT | 2014

Fey, Marco / Müller, Harald / Wunderlich, Carmen / Ricke, Klaus-Peter / Schaper, Annette (2014): Global Non-proliferation ‘Clubs’ vs. the NPT, in: Swedish Radiation Safety Authority Report, 4, www.stralsakerhetsmyndigheten.se/(..).

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4
Norm Dynamics in Multilateral Arms Control. | 2013

Müller, Harald / Wunderlich, Carmen (eds), (2013): Norm Dynamics in Multilateral Arms Control. Interests, Conflicts, and Justice, Athens: University of Georgia Press.

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5
Good International Citizens: | 2013

Becker-Jakob, Una / Hofmann, Gregor P. / Wunderlich, Carmen / Müller, Harald (2013): Good International Citizens:. Canada, Germany, and Sweden, in: Müller, Harald/Wunderlich, Carmen (eds), Norm Dynamics in Multilateral Arms Control, Athens: University of Georgia Press, 207-245.

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6
Die 7. Überprüfungskonferenz des Biowaffen-Übereinkommens | 2012

Becker-Jakob, Una/Nixdorff, Kathryn (2012): Die 7. Überprüfungskonferenz des Biowaffen-Übereinkommens, in: Vereinte Nationen, 3/2012, S. 130-131.

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7
Die 7. BWÜ-Überprüfungskonferenz | 2012

Becker-Jakob, Una (2012): Die 7. BWÜ-Überprüfungskonferenz, in: Wissenschaft und Frieden, 70:2, 10-11, https://www.wissenschaft-und-frieden.de/seite.php?dossierID=074.

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8
IAEO | 2012

Giorgio Franceschini, IAEO - Internationale Atomenergieorganisation, in: Katja Freistein/Julia Leininger (Hg.), Handbuch Internationale Organisationen: Grundlagen und Akteure, München (Oldenbourg), 2012, S. 119-128.

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9
Gerechtigkeitsvorstellungen im Regime zur Kontrolle biologischer Waffen | 2011

Becker-Jakob, Una (2011): Gerechtigkeitsvorstellungen im Regime zur Kontrolle biologischer Waffen, in: Baumgart-Ochse, Claudia/Schörnig, Niklas/Wisotzki, Simone/Wolff, Jonas (Hg.), Auf dem Weg zu Just Peace Governance. Beiträge zum Auftakt des neuen Forschungsprogramms der HSFK, Baden-Baden: Nomos, 95-115.

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10
Trauma "9/11" und die normative Ordnung der amerikanischen Sicherheitspolitik | 2011

Fey, Marco (2011): Trauma "9/11" und die normative Ordnung der amerikanischen Sicherheitspolitik, in: Jäger, Thomas (Hg.), Die Welt nach 9/11. Auswirkungen des Terrorismus auf Staatenwelt und Gesellschaft, Wiesbaden: VS Verlag, 32-52.

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11
Notions of Justice in the Biological Weapons Control Regime | 2011

Becker-Jakob, Una (2011): Notions of Justice in the Biological Weapons Control Regime, PRIF Working Papers No. 9, Frankfurt/M.

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12
Frieden und Rüstungskontrolle/Abrüstung | 2011

Müller, Harald / Rosert, Elvira (2011): Frieden und Rüstungskontrolle/Abrüstung, in: Gießmann, Hans J./Rinke, Bernhard (Hg.), Handbuch Frieden, Wiesbaden: VS Verlag, 529-540, https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-531-92846-3_43.

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13
Rüstung, Rüstungskontrolle und Abrüstung | 2011

Elvira Rosert, Rüstung, Rüstungskontrolle und Abrüstung, in: Peter Schlotter/Simone Wisotzki (Hg.), Friedens- und Konfliktforschung, Baden-Baden (Nomos), 2011, S. 252-281.

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14
Auf dem Weg zu Global Zero? | 2010

Fey, Marco / Franceschini, Giorgio / Müller, Harald / Schmidt, Hans-Joachim (2010): Auf dem Weg zu Global Zero? Die neue amerikanische Nuklearpolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit, HSFK-Report Nr. 4/2010, Frankfurt/M.

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