Cluster Natur- und Technikwissenschaftliche Rüstungskontrollforschung (CNTR)
Der russische Überfall auf die Ukraine hat die möglichen Gefahren, die von rüstungstechnischen Innovationen, Nuklearwaffen, chemischen und biologischen Kampfstoffen sowie digitaler Kriegsführung ausgehen, drastisch ins Bewusstsein zurückgebracht. Auch wenn modernste Waffensysteme in der Ukraine nur punktuell zum Einsatz kamen, zeigt der Einsatz von Drohnen, hochpräzisen Flugabwehrsystemen oder Cyberfähigkeiten exemplarisch, wie sehr Technologie die Machtverhältnisse auf dem Schlachtfeld beeinflussen kann. Neue Waffentechnologie kann im Extremfall Machtverhältnisse disruptiv umkehren und für Unsicherheit sorgen. Letzteres gilt auch für Chemie- und Biowaffen, sogar wenn sie lediglich rhetorisch für Propaganda- und Desinformationszwecke benutzt werden.
Ziel des Clusters Natur- und Technikwissenschaftliche Rüstungskontrollforschung (CNTR) ist es, diese Gefahren zu untersuchen, wissenschaftlich fundiert einzuordnen und auf dieser Grundlage Handlungsempfehlungen zur Stärkung der Rüstungskontrolle zu entwickeln. Dazu integriert das Cluster technik- und naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Expertise in den interdisziplinären Diskurs der Friedens- und Konfliktforschung. Eng verzahnt arbeiten Forschende der Natur- und Sozialwissenschaften am PRIF sowie an den Universitäten Darmstadt und Gießen zusammen, ganz im Sinne der 2019 formulierten Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Weiterentwicklung der Friedens- und Konfliktforschung.
Gleichzeitig verbindet CNTR Grundlagenforschung und Wissenstransfer entsprechend dem Motto der Leibniz Gemeinschaft „Theoria cum praxi“. Neben der Verbreitung von Forschungsergebnissen über Publikationen und diverse weitere Formate entwickelt PRIF deshalb gemeinsam mit den Universitäten in Darmstadt und Gießen einen Trendmonitor, der ab 2024 jährlich über neue Entwicklungen in der Rüstungskontrollforschung informiert.
Das Projekt wird über eine Laufzeit von vier Jahren (Januar 2023 bis Dezember 2026) vom Auswärtigen Amt gefördert.
Im Rahmen des Clusters werden zwei neue Forschungsgruppen gegründet:
1. Nutzung und Kontrolle neuer Militärtechnologien
Die 2023 gegründete Forschungsgruppe „Nutzung und Kontrolle neuer Militärtechnologien“ setzt sich mit drei zentralen Fragestellungen auseinander:
- Wie gefährlich können neue technologische Entwicklungen aus sicherheitspolitischer, ethischer und rechtlicher Sicht werden, wenn sie ihren Weg in die militärische Nutzung finden?
- Wie müssen Überprüfungsmaßnahmen zugeschnitten werden, um wirksame Rüstungskontrolle moderner Militärtechnologien überhaupt zu ermöglichen?
- Wie können neue Technologien dazu beitragen, zuverlässigere Instrumente für Rüstungskontrolle und Verifikation zu entwickeln?
Um belastbare Antworten zu erhalten, verfolgt die Gruppe einen interdisziplinären Forschungsansatz und verbindet die Politikwissenschaft mit den Naturwissenschaften. Denn nur die Kombination verschiedener Perspektiven kann beantworten, was politisch mit welchen Akteuren möglich ist, wo technologische Fallstricke liegen und wie diese – möglicherweise auch durch Technologie selbst – überwunden werden können. So verspricht der interdisziplinäre Ansatz wirksame Ansätze zur Stärkung der Rüstungskontrolle, die sich derzeit in einer schweren Krise befindet.
Der Fokus der Gruppe ist dabei auf die Zukunft gerichtet und nimmt vor allem Technologien in den Blick, die aus militärischer Sicht als neue disruptive Technologien verstanden werden – also Technologien, die geeignet sind, bisherige Machtstrukturen umzustoßen und schwächeren Herausforderern durch geschickte Innovation erlauben, an vormals stärkeren Akteuren militärisch vorbeizuziehen. Zu diesen Technologien zählen Hyperschallraketen, militärische Robotik, ferngelenkte sowie autonome und semi-autonome Waffensysteme, Nanotechnologie, verschiedenste Formen des „Human Enhancement“, Cyberoperationen, militärisch genutzte Künstliche Intelligenz (KI) und Maschinelles Lernen oder auch der militärische Einsatz von Quantencomputern.
Einige dieser Technologien, wie zum Beispiel Hyperschallraketen, wurden zumindest schon von einigen Streitkräften eingeführt. Andere Technologien wie Quantencomputer sind noch Jahre oder gar Jahrzehnte von einer Einsatzreife entfernt. Für alle diese Technologien gilt, dass sie mit klassischen quantitativen Rüstungskontrollbemühungen, also Höchstgrenzen und Limitierungen, nur schwer oder praktisch gar nicht mehr einzuhegen sind.
Geleitet wird die Gruppe von Prof. Dr. Dr. Christian Reuter (Professor im Fachbereich Informatik der TU Darmstadt und Leiter von PEASEC) und Dr. Niklas Schörnig (Politikwissenschaftler und Volkswirt, PRIF). Zur Gruppe gehören weiterhin fest Liska Suckau (Maschinenbauerin und Politikwissenschaftlerin, PRIF), Thomas Reinhold (Informatiker, PRIF) und Samuel Forsythe (Politikwissenschaftler, PRIF). Assoziiert sind Anna-Katharina Ferl und Jana Baldus (beide PRIF).
2. Bio- und Chemiewaffenkontrolle
Mit den Chemiewaffeneinsätzen in Syrien, den Attentaten mit Nervenkampfstoffen sowie der russischen Desinformationskampagne zu angeblichen Bio- und Chemiewaffenaktivitäten in der Ukraine sind diese Waffen als Bedrohungen für Frieden und Sicherheit wieder in den Vordergrund gerückt. Zudem hat die Pandemieerfahrung der vergangenen Jahre gezeigt, welche Auswirkungen auch unabsichtliche globale Krankheitsausbrüche haben können. Es ist deshalb entscheidend, das ganze Spektrum chemischer und biologischer Gefahren im Rahmen einer umfassenden Friedens- und Sicherheitspolitik in den Blick zu nehmen. Gerade in Verbindung mit anderen neuen Technologien, etwa der Künstlichen Intelligenz oder Informationstechnologie, könnten wissenschaftliche und technologische Entwicklungen in der Biologie und Chemie zum einen das militärische Kalkül zur Nützlichkeit biologischer und chemischer Waffen verändern, zum anderen aber auch neue Chancen für die Stärkung der internationalen Verbote beider Waffenkategorien eröffnen. Angesichts der engen Verflechtung politischer und technologischer Aspekte wird die Forschung des CNTR hierzu interdisziplinär unter starker Beteiligung naturwissenschaftlicher Expertise und in Kooperation mit dem Fachbereich Biologie und Chemie der Justus-Liebig-Universität Gießen durchgeführt.
Geleitet wird die Gruppe von Prof. Dr. Peter R. Schreiner, PhD (Professor für organische Chemie an der Justus-Liebig-Universität Gießen) und Dr. Una Jakob (PRIF).
Die eigene Website von CNTR befindet sich zurzeit im Aufbau. CNTR ist auf Twitter und Mastodon.
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Kuhn, Frank D. (2023): Das Raketenabwehrsystem Arrow 3: Eine fragliche Beschaffung, PRIF Blog, 25.8.2023.
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Kuhn, Frank D. (2023): Kampfflugzeuge für die Ukraine und das Risiko der Eskalation: Ein Realitätscheck, PRIF Blog, 7.3.2023.
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